Im Gespräch mit Dietmar Schmidt über »Hinter den Truhen«, WEGA, Band 6

Cover Band 6 PERRY RHODAN-Miniserie WegaDietmar Schmidt
PERRY RHODAN
WEGA, Band 6
Hinter den Truhen

Science-Fiction, Heftroman, Hörbuch und E-Book, Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt, 27. Mai 2021, 64 Seiten, € 2,50, Titelbild: Dirk Schulz

 

Alexandra Trinley: Dietmar, wer ist die Vogelschildkröte auf dem Titelbild?
Dietmar Schmidt: Bei dem außerirdischen Lebewesen handelt es sich um einen Garstag. Garstag leben in der »Lanzette«, einem gigantischen Bohrwurm. Sie sind von der Superintelligenz ES beauftragt, nach einem geheimnisvollen Gegenstand zu suchen, der ES einst »entzogen« wurde und von dem man nur den Namen kennt: der Kradiac. Bei dem Wesen könnte es sich um Karyptichon handeln, den Ersten Bewahrer der Garstag.

Alexandra Trinley: Ist das wabernde Chaos um die Personen herum schon der Bereich mit der Strangeness 1, also dem andersgearteten Universum, in dem die im Titel genannten Truhen versteckt sind?
Dietmar Schmidt: Nein, nur die Gebrüder Vorannen können den Bereich mit einer Strangeness von fast 1 erreichen. Wenn Karyptichon etwas umwabert, dann wird das wohl der entsetzliche Gestank sein, der das unterste Deck der Lanzette erfüllt.

Alexandra Trinley: Am 3. Juni 2021 gab es einen Wiener PERRY RHODAN Online-Stammtisch, den wie gewohnt Roman Schleifer moderierte. Ich habe mir Notizen gemacht und möchte ein paar Fragen für das lesende Publikum wiederholen. Wie bist du eigentlich zu PERRY RHODAN gekommen – als Fan und als Autor?
Dietmar Schmidt: Als Fan kam ich 1980 zu PERRY RHODAN, kurz vor dem Band 1000. Science-Fiction hatte ich schon jahrelang gelesen, aber es dauerte ein wenig, bis ich erst auf K.H. Scheer aufmerksam wurde – und von ZBV zu PR war es dann kein sehr weiter Schritt. In den Achtzigerjahren kam ich über den ColoniaCon ins Fandom und wurde Mitglied im PRBCBS, aber das hörte alles wieder auf, als ich im Hauptstudium war. Am Schreiben hatte ich schon früh Freude. Es gibt noch ein Romanmanuskript von 1981, das in zweierlei Hinsicht völlig unlesbar ist: Es ist schlecht, und außerdem habe ich es mit einem ausgelutschten Farbband getippt. Unverdrossen habe ich in den Achtzigern weitergeschrieben, bis ich eben keine Zeit mehr hatte. Um die Jahrtausendwende fing ich wieder damit an, besuchte ein Schreibseminar in Wolfenbüttel bei Klaus N. Frick und Robert Feldhoff, wurstelte ein Jahrzehnt vor mich hin – da gab es einige Baustellen –, besuchte 2011 den WeltCon in Mannheim und nahm an einem weiteren Seminar in Wolfenbüttel teil. Diesmal war Uwe Anton der zweite Referent neben Klaus, und er ermutigte mich, eine STELLARIS-Geschichte zu schreiben. Danach war ich einmal bei einem Schreibcamp mit Michael Marcus Thurner und Marc A. Herren, schrieb eine zweite STELLARIS-Story, fertigte für die ARKON-Miniserie Datenblätter an und wurde 2017 von Uwe gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, an einer Miniserie als Autor mitzuarbeiten.

Alexandra Trinley: Du standest vor der Herausforderung, ein für Rhodan und Wetherby chaotisches Universum zu beschreiben. Wie bist du bei der Verwirrung der Konstanten vorgegangen?
Dietmar Schmidt: Ich hatte einen sehr guten Ablaufplan von Michael, den ich ein wenig ausfabuliert habe. Ich musste Fleisch auf die Knochen geben, aber das Skelett war schon sehr solide. Ich habe dabei meinen Gedanken freien Lauf gelassen und so gut wie jede Idee sofort aufgegriffen und eingebaut. Es sollte ja chaotisch werden, es sollte keine innere Logik erkennbar sein. Ich musste daher von meiner üblichen Art abweichen, alles zu ordnen und erst mal zu überlegen, ob eine Idee mit allen (mir) bekannten Fakten vereinbar ist. Diese Denkweise kann einen schließlich auch stark hemmen, und für mich war es eine neue Erfahrung, einfach mal zu machen.

Alexandra Trinley: War das schwerer darzustellen als Krakataus killing spree, sein Amoklauf?
Dietmar Schmidt: Es ist mir letztlich viel leichter gefallen als die Schilderung des Blutbads, dass der Maccani anrichtet.

Alexandra Trinley: Auf dem Online-Stammtisch habt ihr als Alternative zum Unbegreiflichen eine Parallelweltlösung diskutiert, also dass auf dem Weg zu den Truhen ein Perryversum mit anderem Entwicklungsweg durchquert werden muss. Arbeitet das in dir nach, bedauerst du, diesen Weg nicht eingeschlagen zu haben?
Dietmar Schmidt: Bedauern – nein. Der albtraumhafte Marsch durch die Wechselwelt hat mir gut gefallen. Als Idee finde ich die Parallelweltlösung weiterhin interessant, aber ein alternatives Perryversum verdient mehr Platz, als nur eine Handlungsebene in einem Roman zu sein.

Alexandra Trinley: Roman Schleifer hat erwähnt, die Handlungszusammenfassung seines Exposés als Einzeiler erhalten zu haben. Du auch?
Dietmar Schmidt: Dieses Privileg ist mir nicht zuteil geworden.

Alexandra Trinley: Liest du das Verlagsforum, beeinflusst dich die jeweilige Stimmung dort?
Dietmar Schmidt: Weil ich der Erstauflage meistens hinterherhinke, lese ich es nicht mehr, um nicht gespoilert zu werden. Und ich hätte auch wirklich nicht die Zeit dazu.

Alexandra Trinley: Auf dem Online-Stammtisch hast du gesagt, dass eine kosmische Stimmung für dich in Band 6 kein Thema war. Dabei haben wir Krakatau als missratenen ES-Sohn, wir haben Truhen mit kosmischen Geheimnissen in einem nicht nachvollziehbaren Universum, wir haben das Spannungsfeld zwischen der jungen, per Zeitversetzung aus Rhodans Jugend in die Handlung gelangte Wetherby und dem unsterblich gemachten Rhodan. Mir kommt das ziemlich kosmisch vor. Dir nicht?
Dietmar Schmidt: Das Kosmische fehlte mir nur beim Handlungsstrang Krakataus. Das war eine reine Kriegsactionhandlung. Ich hätte gern ein wenig über den Hintergrund Krakataus verraten, aber das hat Michael anders geplant, und dafür hat er auch gute Gründe. Dadurch konnte ich auf keine Überraschung hinarbeiten, was ich an sich gern getan hätte. In der Truhenhandlung hat sich hoffentlich eine kosmische Stimmung eingestellt.

Alexandra Trinley: Was verbindest du mit dem Namen Krakatau?
Dietmar Schmidt: Ich denke an das Naheliegende, den Vulkan. Und die Figur in der Miniserie scheint ja auch stets vor dem Ausbruch zu stehen, ihre Gefühle und ihre Zerstörungskraft nur mühsam im Zaum zu halten.

Alexandra Trinley: Wie gehst du vor, wenn dein Roman mehr als eine Handlungsebene enthalten soll?
Dietmar Schmidt: In der Regel schreibe ich die Handlungsebenen am Stück und stelle erst am Schluss die endgültige Kapitelreihung her. Aber es ist weniger eine Regel und mehr eine Richtlinie. In MISSION SOL I Band 10 habe ich die Kapitel in Reihe geschrieben, obwohl die Hauptpersonen wechselten. Aber dort waren die Handlungsstränge auch stärker miteinander verflochten.

Alexandra Trinley: In der Miniserie gibt es die Handlungsebene um Bully und Gucky. Hättest du da auch gern was geschrieben?
Dietmar Schmidt: Im Prinzip schon, aber ich weiß nicht, ob es gut geworden wäre. Bully und Gucky – das steht für mich am Anfang meiner RHODAN-Lektüre und rangierte von klamaukhaft bis tiefsinnig. Ich weiß nicht, ob ich ihrem Verhältnis noch etwas Neues hätte hinzufügen können. Hätte ich ein Exposé aus dem Bully-Gucky-Handlungsstrang erhalten, wäre ich sehr nervös gewesen.

Alexandra Trinley: Gillian Wetherby ist als Farbige mit einem weißen Elternteil in den USA der Sechzigerjahre aufgewachsen. Wie hat das ihren Charakter beeinflusst?
Dietmar Schmidt: Sie trägt das Gefühl mit sich herum, nirgendwo wirklich dazuzugehören und sich ihren Platz überall erst verdienen und ihn danach ständig behaupten zu müssen. In ihr sind viel Trauer und Wut.

Alexandra Trinley: Hast du recherchiert, ehe du über ihre Erinnerung geschrieben hast?
Dietmar Schmidt: Nur wenig. Ich habe eigene Erlebnisse verarbeitet. Während meiner Zeit in den USA habe ich in einem richtig verranzten Apartment gewohnt – es war billig und lag in Fußweite zum Labor, was gut war, weil mein Auto dort auch häufiger in der Werkstatt stand als auf der Straße. Solche Erfahrungen, gewürzt mit einer großzügigen Prise Übertreibung, habe ich auf Gillians Vorleben übertragen. Nur war bei ihr nicht das Auto ständig kaputt, sondern die Toilette.

Alexandra Trinley: Ihre Ausbildung zur Risikopilotin wurde kontrovers diskutiert, als ahistorisch und deshalb kaum glaubwürdig. Deine Sichtweise?
Dietmar Schmidt: Eine schwarze Frau hätte es in den US-Streitkräften der Sechzigerjahre nicht leicht gehabt. Zwar gab es Schwarze als Offiziere, aber Frauen hatten innerhalb der US Air Force bis 1976 keine gleichwertige Stellung inne, und erst 1993 wurde Jeannie Leavitt die erste Jagdpilotin der USA. Beim Stammtisch wurde allerdings spekuliert, dass der Einfluss General Pounders und Professor Lehmanns schon früher als in den Sechzigern eine Abweichung von unserem Geschichtsablauf verursacht haben könnte.

Alexandra Trinley: Ebenso kontrovers diskutiert wurde ihr eventuelles Weiterleben in der Erstauflage. Könntest du sie dir dort vorstellen? Und wie?
Dietmar Schmidt: Ich mag die Figur, aber ich wüsste auf Anhieb nicht, welche Funktion sie in der Erstauflage haben könnte.

Alexandra Trinley: Würde es dich reizen, ihr Leben zur Zeit vor und zu Beginn der Dritten Macht darzustellen?
Dietmar Schmidt: Nur wenn es dabei einige Überraschungen aufzudecken gäbe.

Alexandra Trinley: Scheer und Darlton haben, soweit ich weiß, keine Schreibseminare besucht. Heutzutage so ziemlich jeder. Ergibt das zu viele Regeln im Kopf, zu viel Einheitsbrei?
Dietmar Schmidt: »Man muss die Regeln beherrschen, um sie sinnvoll brechen zu können«, hat man mir eingetrichtert – natürlich bei Schreibseminaren. Aber im Ernst: Ich kann mir nicht vorstellen, wie es schaden soll, wenn man Klarheit über die Mechanismen und Strukturen gewinnt, die einem Werk der Unterhaltungsliteratur zugrunde liegen. Ein Schreibseminar gibt Autorinnen und Autoren Mittel in die Hand, wie man den kreativen Prozess systematisiert. Was dann originelle Werke entstehen lässt, ist die eigene Kreativität. Was Letzteres angeht, hat mir Marc A. Herren einmal einen Rat mit auf den Weg gegeben: »Lasse mehr Chaos zu!«
In den Fünfzigerjahren herrschten andere Verhältnisse, aber auch damals gab es jede Menge Einheitsbrei und jede Menge Regeln. Nur ein Beispiel: Bei einigen Lektoren galt das Wort »Achsel« als unschicklich, weil zu körperlich, und wurde von ihnen nicht geduldet.
K.H. Scheer und Walter Ernsting (um nur deine Beispiele aufzugreifen) waren Stimmen, die sich vom Einheitsbrei abhoben, deshalb kennen wir sie noch. Auch von dem, was heute geschrieben wird, wird einiges überleben, anderes in Vergessenheit geraten und manches vielleicht irgendwann wiederentdeckt.

Alexandra Trinley: Als Chemiker interessieren dich Materialien.
Dietmar Schmidt: Als altem Chemiker fällt mir auf, wie gerade in der Anfangszeit der Serie technische Probleme gern durch überlegene neue Materialien gelöst werden. Die STARDUST, mit der Perry Rhodan auf dem Erdmond landet, ist ein Beispiel. Ihr Aufbau gab den Stand der Technik um 1960 wieder. Eine chemisch angetriebene erste Stufe, ein Atomtriebwerk in der zweiten und dritten Stufe. Mitte der 1960er-Jahre zeigte sich, dass die Atomtriebwerke die Erwartungen nicht erfüllten. Der Schub, der sich damit erreichen ließ, genügte nicht. Die Saturn V benutzte dann den schwierig zu handhabenden flüssigen Wasserstoff als Energieträger. Im Perryversum hatte allerdings Atlan die Hand im Spiel und war an der Entwicklung des Atomtriebwerks der STARDUST beteiligt. Vielleicht ist es ihm zu verdanken, dass Molverdinstahl als Material für den Atomantrieb verwendet werden konnte, ein molekülverdichtetes Material, wie wir es heute noch nicht kennen. Damit waren weit höhere Betriebstemperaturen des Atomtriebwerks möglich, und damit auch eine höhere Schubleistung.

Alexandra Trinley: Nun hast du die Truhen, um die es die ganze Zeit geht, in einer Art Scheune greifbar werden lassen. Warum eine Scheune?
Dietmar Schmidt: Nur für Rhodan ist es eine Scheune. Gillian hat eine Tiefgarage gesehen. Der Raum sollte ein Ankerpunkt in dem fremdartigen Universum darstellen, und ich habe mich für Orte aus der Vergangenheit der Protagonisten entschieden, die sie öfter besucht haben. Rhodan ist in einer ländlicheren Umgebung aufgewachsen als Wetherby, daher die Idee mit der Scheune.

Alexandra Trinley: Und was ist in der Truhe?
Dietmar Schmidt: Selbst wenn ich das wüsste, dürfte ich es nicht verraten.

Alexandra Trinley: Lesen die Autoren eigentlich alle Exposés oder nur ihre?
Dietmar Schmidt: Ich kann nicht für die Autoren an sich sprechen; ich lese alle Exposés bis zu meinen eigenen, die danach nicht mehr. Stattdessen lese ich dann die Romane.

Alexandra Trinley: Würdest du eigentlich gern mal selbst die Exposés für eine Miniserie entwerfen?
Dietmar Schmidt: Im Moment denke ich an so etwas nicht.

 

Eine Lese- und Hörprobe und weitere Informationen gibt es auf der PERRY RHODAN-Website.

Eine Handlungszusammenfassung gibt es in der Perrypedia.

Eine Übersichtsseite zur Miniserie WEGA gibt es ebenfalls auf der PERRY RHODAN-Website.

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