Christian Montillon – Die vereiste Galaxis (Rezension zu PR 2875)

Der Auftakt des Sternengruft-Zyklus beginnt passenderweise im Tod und zeichnet erste Schritte zurück ins Leben nach. Die Erlebnisse der Körperlosen in einer sich nach ihren Gedanken formenden Welt sind beklemmend, ihre Abenteuer übersichtlich und actionreich. Der Roman ist klar gegliedert und gut zu lesen, die Erlebnisse in Körperlosigkeit geben ihm Tiefe.

Wir erinnern uns – zu Ende des vorherigen Heftes, des vorherigen Zyklus‘ lieferte Perry Rhodan sich den Tiuphoren aus. Sein Tod war der Preis für ihren Abzug aus dem vom Untergang bedrohten Solsystem, und die Larin Pey-Ceyan – nicht seine Freundin Sichu – schloss sich ihm an. Sie wurden an Bord des tiuphorischen Sterngewerks SHEZZERKUD zum Sextadim-Banner geführt und durchs Herz geschossen.

Nun ist der Tod in diesem Falle eher Sackgasse als Ende. Denn ihre Seelen, ihre Bewusstseine – in der Seriensprache: ihre ÜBSEF-Konstanten – befinden sich im Totenreich des Banners, wie wir es in PR 2872 durch die Erkundungsgänge des Gestaltwandlers Leccore kennenlernten, der die Identität des Orakelpagen Paqar Taxmapu annahm. Mit Perry und Pey-Ceyan bewegen wir uns nun innen drin im Banner, die Verstorbenen existieren in einer imaginierten Scheinwelt aus verfremdeten Erinnerungen. Perry erlebt ein menschenleeres Terrania und trifft schaukelnde Kinder, die wissen, dass sie tot sind, setzt sich auf die Schaukel neben Pey-Ceyan, die ebenfalls weiß, dass sie tot ist. Beide wissen nicht, wieviel Zeit vergangen ist, denn im Catiuphat – dem Totenreich, das sich aus den Inhalten aller Banner zusammensetzt – ist der Zeitverlauf losgelöst vom Außen.

In dieser Sackgasse des Todes kann man umkehren. Die beiden fliehen vor einem gesichtslosen „Trostreichen“ und treffen Leccore, der als Orakelpage das Catiuphat betreten kann. Sie folgen ihm in eine sichere Zuflucht und reden.

In der Milchstraße sind seit Rhodans und Pey-Ceyans Tod bereits zwei Jahre vergangen! Leccore informiert Rhodan über den Ausgang der Schlacht: Mit der SHEZZERKUD zogen ungefähr 20.000 Sterngewerke ab. Nun sammeln sie sich nur 3,5 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt im Leerraum. Die SHEZZERKUD muss repariert werden, was etwa ein Jahr dauern wird. Sie ist das einzige moderne Schiff der Flotte, das ihr Ziel, die 131 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernte Galaxie Orpleyd, erreichen kann, weil sie von dort kam. Orpleyd war die Urheimat der Tiuphoren. Die anderen Raumer, die alle aus ferner Vergangenheit stammen, rüstet man um, so dass sie den von der SHEZZERKUD verlegten und von der PEZZWYNEC offen gehaltenen Reiseweg, die Sextadim-Halbspurtrasse, nutzen können.

Perry und seiner Begleiterin geht es nicht gut. Sie wollen wieder leben. Ihre Körper könnte man heilen, denn sie befinden sich – in Kryostase – in der Obhut des Xenoermittlers Shoer Venyeth. Der hat den Zellaktivator – den Unsterblichkeit spendenden Vitalenergiespeicher – entdeckt und will die Körper als wertvolle Forschungsobjekte erhalten. Auch die Dakkar-Spanne erkennt und erforscht er zum Wohle seines Volkes.

Aber eigentlich müsste er die Körper vernichten wegen der Ruhe im Catiuphat, weshalb eine erbitterte Auseinandersetzung mit Knaudh, dem Orakel-Pagen der SHEZZERKUD, entbrennt. Ihr Vorgesetzter Caradocc hält sich heraus: Nach guter alter Sitte sollen Venyeth und Knaudh die Sache unter sich ausmachen. Venyeth sichert sein Labor mit einem Fallensystem und Schutzschirmen.

Nur in der CIPPACOTNAL könnte sich Leccore der Körper bemächtigen und sie für die Rückführung der ÜBSEF-Konstanten vorbereiten. In Taxmapus Gestalt mischt er sich auf Venyeths Seite in die Auseinandersetzung ein. Er kann sich den Leichen nähern und eine geistige Kopie anfertigen. Zurück im Catiuphat bildet er das Gehirn des Terraners im Körper des Orakel-Pagen nach und hilft Rhodans Geist, sich in dieses zu versetzen. Somit kann Rhodan in Taxmapus Gestalt und ausgestattet Leccores Fähigkeiten aktiv werden, während dieser zu einer Art Extrasinn wird.

Die Bewusstseine von Rhodan und Pey-Ceyan benehmen sich wie Wahnsinnige, um das Orakel Urccale herzulocken. Als Rhodan dessen Geistkörper »berührt«, kommt es zu einer unerwarteten Wechselwirkung: Ein Riss tut sich auf, der bis hinab in die fünfte Tiefe, den fünften Torus reicht. Urccale wird auf Nimmerwiedersehen verschlungen. Rhodan und Pey-Ceyan blicken in den Riss, gewinnen neue Erkenntnisse und erkennen in noch tieferen Schichten etwas Uraltes, von dem sie nur ein mildes Abbild sehen. Ganz unten sieht Pey-Ceyan eine vereiste Galaxie.

Als Taxmapu verlässt Rhodan das Catiuphat und erhält Urccales Position. In offiziellem Auftrag setzt er nun zur SHEZZERKUD über, beeindruckt Venyeth mit seinem Wissen über den Zellaktivator, die Dakkar-Spanne und die im Labor installierten Waffen und bricht in Knaudhs Gestalt in Venyeths Privaträume ein: der sieht seinen Erzfeind die Dakkar-Spanne stehlen.

Venyeth hat den vollen Funktionsumfang der Dakkar-Spanne erkannt, der Rhodan neu ist: Gleich probiert er aus, dass sich das Gerät wie ein Fiktivtransmitter nutzen lässt und baut einen Unfall. Sobald er behandelt und geheilt ist, dringt er erneut ins Labor ein, schlägt Venyeth nieder, bringt die Körper in die CIPPACOTNAL und erweckt den Anschein, als habe Knaudh sie zerstört.

Die Wiederherstellung der Körper dauert … am 18. 07.1522 NGZ (Neue Galaktische Zeitrechnung) erfahren sie, dass die Sterngewerke bereits in die Sextadim-Halbspurtrasse eingeflogen sind. Und dass sich die Tiuphoren vor Orpleyd zu ekeln scheinen – kein Wunder, denn sie betrachten sich als »erlöst« von planetengebundener Existenz und wollen nicht heimkehren, sondern die Galaxie zerstören und »bestatten«. Um mehr herauszubekommen, will Rhodan in die fünfte Tiefe des Catiuphats, den Torus V, vordringen.

Christian Montillons und Wim Vandemaans  »Thez« (PR 2874), der überladene Gemeinschaftsroman der beiden Expokraten, schloss die unübersichliche Zyklusplanung adäquat ab. Dieser Roman hier stammt nur von ersterem, zeugt von seiner Verwurzelung im Horror-Genre und besitzt einen übersichtlichen, handlungsreichen Aufbau. Mich interessieren natürlich vor allem die Stellen, in denen Rhodan die Identitätsvorgänge Leccores miterlebt, wie wir sie aus MMTs 2872 kennen, und die Erlebnisse der körperlosen Toten, zum Beispiel, wenn sie Wahnsinnige spielen:

»Sie lachte, den Kopf in den Nacken geworfen. Danach tat sie, als würde sie mit einem unsichtbaren Partner weitertanzen.

Rhodan trat zu ihr, reichte ihr die Hand. Sie schlug sie weg, hob ihren Arm, ohrfeigte sich selbst, kratzte sich mit den Nägeln blutige Striemen in die Wangen.

Übertreib‘ es nicht, hatte Rhodan sie gebeten, als sie ihm von ihrer Arbsicht erzählt hatte.

Ich habe kein Gesicht. Ich kann mir weder Verletzungen noch Narben zufügen, war ihre Antwort gewesen.

Aber du wirst Schmerzen fühlen. Sie hatte gelacht.« (S.42).

Die qualvolle Schmerzlosigkeit des Todes und der Genuss der Rückkehr in einfachste Lebensfunktionen wie Schlaf und Atmen sind das Grundmotiv des Romans. Ergo: Ein Expokrat schreibt besser als zwei. Bei dieser Gelegenheit fällt mir auf, wie lange ich nichts mehr von Wim Vandemaan gelesen habe.