Logo 60 Jahre PERRY RHODAN Tribut – Beitragsbild

»Für eine Handvoll Solar« von Roman Schleifer

Recherchen in der Enzyklopädie Terrania fördern bisweilen seltsam anmutende Ereignisse zu Tage, in die selten, aber doch der Vorzeige-Terraner und -Galaktiker Perry Rhodan involviert ist. Diese speziellen Ereignisse zeugen nicht nur von Rhodans Talent, in ungewöhnlichen Situationen mit kreativen Lösungen zu bestehen, sondern auch von seiner Fähigkeit und Flexibilität, sich den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, und zwar schneller als ein Blitz verblasst.
Eine dieser dünn gesäten Situationen datiert aus dem Jahr 2436 alter Zeitrechnung. Es begab sich, dass in dieser grauen Vorzeit Perry Rhodan das Lied »I’m forever blowing bubbles« von den Clark Sisters aus dem Jahre 1960 trällern musste, um den Riesenrobot OLD MAN zu übernehmen.
Der geneigte Leser mag annehmen, dass Perry Rhodan diesen Song notengerecht und stimmgewaltig intonierte, um seine Terraner vor weiterem Ungemach zu retten, umgibt ihn doch der Mythos, alles perfekt zu beherrschen und sich außerdem mit Lebewesen zu umgeben, die je nach Situation diesen Perfektionismus für ihn übernehmen.


Doch der geneigte Leser irrt.


Dieses historisch außergewöhnliche Ereignis – wie oft wurde eine Gefahr für die Terraner oder die Milchstraße schon mit einem Lied abgewendet? – offenbarte eine Schwäche des Großadministrators a.D.! Der Unsterbliche hat – und er möge dem Chronisten die Wortwahl verzeihen – eine saumäßige Stimme. Oder, um es politisch korrekt auszudrücken: In puncto Gesangskünste hat Perry Rhodan Luft nach oben und täte gut daran, sich nach professioneller Hilfe umzusehen.
Eigentlich wäre dieser Umstand einer breiten Öffentlichkeit niemals zugänglich gewesen, da der unfreiwillige Gesangsauftritt unter Ausschluss eben jener Öffentlichkeit an Bord von OLD MAN stattfand. Dort wurden nur zwei Personen Zeuge von Rhodans kläglicher Singstimme, und eigentlich konnte keiner der beiden Interesse daran haben, dass das makellose Bild Perry Rhodans Risse bekam.


Doch offenbar ist selbst auf jahrhundertelange Freunde kein Verlass (oder Perry Rhodan hat bei der Auswahl seiner Vertrauten danebengegriffen, womit seine Unfehlbarkeit eindeutig widerlegt ist). Die unfreiwillige Jam-Session fand ihren Weg in die Öffentlichkeit, und zwar wenige Tage nachdem Rhodan dank seiner Gesangskünste fast schon erwartungsgemäß diese Gefahr gebannt hatte und OLD MAN daher von den Terranern kontrolliert wurde. Es kann keinen Zweifel geben, dass einer der beiden Zeugen für diese heimlich vorgenommene Aufnahme verantwortlich zeichnete und die Veröffentlichung lanciert haben musste.
Als wäre ein grässlich anzuhörendes Lied nicht schlimm genug, überschwemmten sechzig Versionen des von Rhodan geträllerten Songs die Milchstraße. Unter anderem gab es eine »Def Uncensored Version«, einen »Galaxy Dance Mix«, eine »20th Century Neanderthal Version« und zu allem Überfluss einen »End of Universe Mix«.
Zum Entsetzen der Musikinteressierten, die sich kopfschüttelnd mit verzerrtem Gesicht abwandten, stürmte die Single die Spitze der Charts, und das nicht nur im Solsystem, sondern in allen großen Systemen der Milchstraße. Die Gerüchte, dass das Lied sogar ein Chartbreaker in anderen Galaxien wurde, konnten vom Chronisten hingegen nicht vollständig verifiziert werden.
Die offizielle Reaktion des Großadministrators a.D. auf diesen kleinen Streich ist in der Enzyklopädie Terrania nachzulesen und in einem News-Interview zu betrachten: Sie zeigt einen beherrschten, gefassten, verständnisvollen und schmunzelnden Perry Rhodan – wie die Öffentlichkeit es von ihm gewohnt ist und auch erwartet.
»Das Geheimnis eines entspannten Lebens ist«, so Rhodan, »über sich selbst lachen zu können.«

Ja, lachen zu können, aber nicht zu müssen. Und durch diese semantische Feinheit und dem Studium seines Jahrzehntausende währenden Lebens ahnt der geneigte Leser bereits, dass der Unsterbliche oftmals gute Miene zum bösen Spiel gemacht hat und überdies virtuos auf der Medienklaviatur spielt.
Der Chronist, skeptisch und der Wahrheit verpflichtet, ist daher auf die Suche nach Rhodans wahrer Reaktion gegangen …

»Der Solare Weg«

Perry Rhodans unautorisierte, inoffizielle Biographie


Gedankenverloren starrte Reginald Bull vom Liegestuhl in Richtung des Goshun-Sees, auf dessen Oberfläche sich die gelbe Sonne Terras spiegelte. Zwei Wolken, die ihn entfernt an Space-Jets mit zerfetztem Antrieb erinnerten, pirschten sich langsam an die Sonne heran, bereit, Bull vom heimatlichen Gestirn abzuschneiden und ihm einen dunkelgrauen Schattenmantel überzustülpen.
Sachte, fast schon zärtlich strich ein lauer Spätfrühlingswind über den See inmitten der ehemaligen Mongolei und kitzelte die glatte Oberfläche, sodass sie sich an manchen Stellen kräuselte. Vereinzelt sprangen Fische aus dem Wasser, schnappten nach Fliegen und anderen Insekten.
Von irgendwo wehte frischer Kaffeegeruch und ließ Reginald Bulls Magen knurren. Vielleicht hätte er das Frühstück doch nicht aufschieben sollen.
Bull seufzte.
Die Idylle war trügerisch. Für Mittag hatte NATHAN Gewitter veranschlagt, von denen die tief fliegenden Insekten zeugten, die auf den langsam sinkenden Luftdruck reagierten. Bull bildete sich ein, die kühle Frische des kommenden Regens bereits riechen zu können.
Er seufzte erneut. Woher kam seine gedrückte Stimmung?
Es hatte keinen Auslöser gegeben, zumindest erinnerte er sich an nichts. Aber das Leben war eine ständige Berg- und Talfahrt, überhaupt, wenn man wie er mehrere Jahrhunderte in den Knochen hatte.

Bull setzte sich im Liegestuhl auf und presste die nackten Fußsohlen fest in das taufeuchte Gras seines Gartens, der direkt am See lag. »Wenn es dort oben auch so einfach wie bei der Wetterkontrolle wäre«, brummte er.
Sein Blick ging in den Himmel und schien hinter die Atmosphäre zu sehen. OLD MAN war zwischen Saturn und Jupiter geparkt. Ein ganzes Heer an Wissenschaftlern und Technikern trampelte dort oben durch die Gänge, vermaß, rekonfigurierte, schraubte und suchte nach Antworten, die garantiert Fragen aufwerfen würden, von denen einige besser nicht gestellt werden sollten.
»Was ist, falls das Ende nichts als ein böser Anfang ist?«, murmelte er.
Seit Bull mit Perry Rhodan durchs berufliche Leben zog, bestand es aus einer Abfolge von Krisen und Katastrophen, die ausnahmslos in Kämpfen oder Schlachten mündeten. Zwar blieben die Terraner trotz Verlusten immer irgendwie siegreich, dennoch hatte sich eine Art Muster ergeben, in dem Ruhe ein Fremdwort zu sein schien.
Garantiert würde in Kürze …

»Reginald«, unterbrach die weibliche Stimme der Hauspositronik seine Gedanken. »Perry Rhodan steht vor der Tür.«
Wenn man vom Teufel spricht …
»Lass ihn rein!«
»Er meint, du sollst zur Tür kommen.«
Reginald Bull stieß einen weiteren Seufzer aus und stemmte sich mit einem Brummlaut hoch. Seine dunkle Vorahnung trübte sich ein, wurde leerraumschwarz. Außerdem juckte seine linke, kleine Zehe – ein noch schlechteres Vorzeichen.
Dennoch warf er sich nicht in die Fluten des Goshun-Sees, um so viel Distanz wie möglich zwischen Perry und sich zu bringen. Wer an Perry Rhodans Seite lebte, kuschelte mit der Gefahr.
Ein echter Mann stellt sich seinen Ängsten!
Während er leicht angespannt das Wohnzimmer der Villa betrat, schrie irgendwo hinter ihm ein Reiher und beschwerte sich vermutlich, dass die Fische nicht so mundeten wie sonst. Prompt knurrte Bulls Magen und erinnerte ihn an das ausgefallene Frühstück.
»Servo, einen Pink Smoothie Bowl in der Spezialmischung«, orderte er.

Auf dem Weg durch den Flur fiel sein Blick auf die Batman-Originalzeichnung aus den 40er-Jahren seines Geburtsjahrhunderts.
Sie war – wie konnte es heute anders sein? – verrutscht. An jedem anderen Tag würde er den dunklen Ritter in der Schräglage belassen, heute aber brauchte er etwas, das sich gegen seine miese Stimmung stemmte.
Er trat heran und rückte das Bild zurecht.
Es gibt keine schlechten Tage, sondern nur Menschen ohne Perspektive.
Bull hob die Schultern, streckte sich. Auch dieser Tag würde zu Ende gehen!

Im Flur knackste er mit den Nackenwirbeln und öffnete die Haustür. Vor ihm stand ein kegelförmiger, beigefarbener Roboter mit dem Emblem des Terrania Police Departments, daneben ein humanoid geformter Roboter und dahinter Perry Rhodan mit ungewöhnlich ernster Miene.
Das Hologramm der Solaren Staatsanwaltschaft baute sich vor ihm auf und ließ seine miese Vorahnung zurückkehren.
»Sir, ich identifiziere Sie als Reginald Bull, geboren am 14. Mai 1938 in Queens, New York. Derzeitige Position: Solarmarschall.« Die weich modulierte Stimme des humanoiden Roboters biss sich mit der Art, wie er die Worte betonte.
»Uh!« Mehr fiel Reginald Bull nicht ein. Sein irritierter Blick wanderte zwischen den beiden Robotern und Perry Rhodan hin und her. Doch der Großadministrator wirkte wie bei einer der zahlreichen, sinnentleerten und langweiligen diplomatischen Veranstaltungen, bei denen er präsent sein musste. Mit keiner Miene reagierte er auf die fragenden Blicke, die ihm Bull zuwarf. Stattdessen starrte er eisern an ihm vorbei.
»Reginald Bull, ich verhafte Sie wegen Hochverrats, Verletzung des Copyrights und der Persönlichkeitsrechte und Diebstahl. Mit sofortiger Wirkung stelle ich Sie unter Hausarrest. Sie sind von all Ihren Ämtern suspendiert. Die Autorisierungskodes werden soeben blockiert.«
Reginald Bull schnaufte, während er die Überraschung verdaute und sich fragte, wieso Rhodan derart unbeteiligt wirkte. »Was laberst du da, Blechheini?«
»Sir, ich ersuche Sie, Ruhe zu bewahren.«
»Sehe ich aus, als wäre ich aufgebracht?«
»Sir, Ihrem Psychogramm zufolge werden Sie in acht Komma vier Sekunden aufbrausen und mir weitere neun Sekunden später drohen, mich in eine Schrottpresse zu stecken oder mir die Kabel einzeln rauszureißen, bevor Sie mir …«
Bull lachte auf. »Ja, das klingt nach mir.«
»Ich darf Sie darauf hinweisen, dass Sie keine Kabelverbindungen in meinem Körper finden werden.«
»Dann rupfe ich dich anders«, knurrte Bull und wurde sich der Absurdität der Situation bewusst. »Du verhaftest mich weswegen?«
»Wegen Hochverrats, Verletzung …«
»Das habe ich schon beim ersten Mal verstanden. Perry, was soll der Blödsinn?«
R
hodan schob sich an den Robotern vorbei. »Bully, es geht um das Lied.«
»Welches Lied?« Bull zog die Augenbrauen zusammen. Was zur Hölle meinte Perry?
»Du oder Gucky habt es aufgenommen und veröffentlicht.«
»Und dadurch einen Verstoß gegen …«
»Klappe, Blechtrottel!« Bull spürte, dass er kurz davor war, die Prophezeiung des Roboters wahr werden zu lassen. Immerhin bunkerte er mehrere Kombistrahler, Granaten und weitere nützliche Waffen für einen Privatkrieg im Waffentresor im Keller. Und er lagerte ein Spezialgerät, um Polizeiroboter auszuschalten.
Hochverrat! Dass ich nicht lache!


»Die Pink Smoothie Bowl ist fertig!« Ein Servoroboter schwebte mit einem rosafarbigen, cremigen Frühstücksgetränk auf dem Tablett hinter ihm. »Wie gewünscht mit einem Schuss Wodka.«
Bull leerte das Getränk in einem Zug. »Verdammt, Perry, welches Lied?«
»I’m forever blowing bubbles. Jemand, genauer gesagt du oder Gucky, hat meinen Gesang …«
Bull grinste und überlegte, ob er den Mund sicherheitshalber mit der Hand abdecken sollte. Er entschied sich dagegen, schließlich war der Großadministrator keine Mimose. »Perry, du solltest nicht von Gesang …«
Auf Rhodans Stirn bildete sich eine steile Falte.
Na, da mach ich mir aber gleich in die Hose!
»… sprechen.« Demonstrativ schüttelte er sich und verzog das Gesicht. »Gekrächzt und Lichtjahre an den Noten vorbei trifft es besser.«
»Du oder Gucky – einer von euch hat es aufgenommen und veröffentlicht!«
»Aha. Und wer sollte sich dieses Paradebeispiel an Unmusikalität freiwillig anhören?«
»Ich bin die Nummer eins in vielen Milchstraßen-Charts.«
»Du?« Bull lachte laut auf. »Du verarschst mich!« Die Vorstellung war einfach zu komisch. Wie konnte dieses schreckliche Gekrächze die Charts stürmen?
Rhodan schüttelte den Kopf, doch die Stirnfalte blieb. »Vor einer Stunde hat mich die Staatsanwaltschaft als Zeuge kontaktiert. Ich habe gesagt, du seist über jeden Zweifel erhaben, aber für sie zählen nur Beweise, und ich bin ihr gegenüber nicht weisungsbefugt. Und …« Er deutete mit dem Daumen hinter sich zum Polizeiroboter. »Eigentlich sollte der dich mitnehmen, aber ich habe den Staatsanwalt überzeugt, dass es ein Hausarrest auch tut.« Er klopfte Bull auf die Schulter und zwinkerte. »Oder hast du vor, dich aus der Verantwortung zu stehlen und zu flüchten?«
»Ich hol mir nur noch Schuhe.« Bull deutete auf die nackten Füße. »Außerdem flüchtet man nicht bei einem reinen Gewissen.«
Rhodan sah ihm lang in die Augen. Bull hielt stand, obwohl das Blickduell immer unangenehmer wurde.

»Wieso ist die Veröffentlichung deines Gejaules Hochverrat?«, beendete er den visuellen Zweikampf.
»Darf ich, Herr Großadministrator?« Der humanoide Roboter, vor dem immer noch das Holo der Solaren Staatsanwaltschaft schwebte, trat vor. Rhodan winkte ihm zustimmend zu. »Mr. Bull, Sie haben Regierungs- und Staatseigentum gestohlen, diese Verschlusssachen widerrechtlich weitergegeben und der breiten galaktischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.«
»Blechkamerad, erstens gilt die Unschuldsvermutung und zweitens habe ich keine der von dir vorgeworfenen Delikte begangen. Das war somit unser allseits beliebter Mausbiber und Meister im Seifenblasenerzeugen.«
»Jeder Verbrecher leugnet.«
Bull knurrte. Er spürte, wie sein Blutdruck stieg. Vermutlich waren die Wangen bereits röter als sonst. »Nachdem ich es nicht war – welche Beweise hast du überhaupt?«
»Ausgehend von der Produktionsfirma und einiger Zwischenfirmen konnte als Ursprung die Plonald Lmtd ausgeforscht werden, deren Eigentümer Sie und Plofre, genannt Leutnant Guck oder Gucky, sind.«
»Die Firma haben wir vor vierhundert Jahren gegründet«, brauste Bull auf. »Das letzte Mal habe ich aktiv vor dem Andromeda-Feldzug etwas damit zu tun gehabt. Was geht mich an, was Gucky macht?«
»Sir, ich darf explizit darauf verweisen, dass bei Hochverrat alle Eigentümer für diese Art von Gesetzesbruch haftbar sind, gleichgültig, welcher Eigentümer letztendlich den Gesetzesbruch begangen hat.«
Hilfesuchend blickte Bull zu seinem besten Freund. Doch Rhodan zuckte nur mit den Schultern und empfahl ihm ein lautloses »kooperiere«.
Eine Anklage an sich war erstmal noch kein Grund zur Beunruhigung. Sollte es wirklich so weit kommen, würde er sich den besten Verteidiger leisten, den man in der Milchstraße für Geld kriegen konnte.
»Von welchem Strafmaß reden wir?«, fragte Bull den Roboter.
»Aufgrund der Schwere des Delikts gibt es nur lebenslänglich.«
»Lebenslänglich?« Bull tippte auf den Zellaktivator, der in Brusthöhe das T-Shirt auswölbte. »Das wird ja immer besser.«
»Sir, ich verstehe nicht, was …«
»Nur damit ich das auch richtig verstanden habe: Ich hafte als Eigentümer zur Gänze, obwohl ich nicht beteiligt war und erst von dir davon erfahren habe?«
»So steht es im Gesetz.«
»Ich dreh dem Ilt den Hals um!« Bull wirbelte herum. Der Servoroboter wich aus, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Mit jedem Schritt, mit dem er sich dem Garten näherte, wurde er wütender. Er würde dem Mausbiber für diese Aktion das Fell über die Ohren ziehen. Wie kam er dazu, dass er für die gemeinsame Firma alleinige Entscheidungen solcher Tragweite traf?
Gucky, was zum Teufel ist in dich gefahren?


Kurz nach der Terrassentür streifte Bull einen der Büsche. Zwei Vögel stiegen schnatternd auf und schimpften in der Luft weiter. Er kümmerte sich nicht darum und stapfte zum Nachbargrundstück, das dem Ilt gehörte. Gucky und er hatten sich gegen einen Zaun entschieden. Stattdessen markierte die erste Reihe eines Mohrrübenfeldes den Grundstücksübergang. Da er wusste, wie heikel der Ilt bei seiner Mohrrübenzucht war, blieb er vor dem Feld stehen und suchte nach Stellen, die er ohne schlechtes Gewissen betreten konnte, obwohl er am liebsten quer durchgetrampelt wäre.
»Ach, pfeif drauf!« Immerhin hatte Gucky ihn mit der Songveröffentlichung gewaltig in die Scheiße geritten.
Bull hob den Fuß und wollte ihn gerade zwischen die zarten Pflanzen setzen, als ihn ein energisches »Stop!« innehalten ließ.
Der Staatsanwaltsroboter schwebte plötzlich neben ihm. »Sir, sobald Sie den Boden des Nachbargrundstücks betreten, verletzen Sie Ihre Auflagen und ich muss Sie mitnehmen.«
»Stimmt«, bestätigte Rhodan. »Du hast seit fünf Minuten Hausarrest.«
Bull setzte den eben noch erhobenen Fuß auf seinem eigenen Grund ab. »Auch du, mein Sohn?« Er bedachte Rhodan mit einem vorwurfsvollen Blick. Was war los mit seinem ältesten Freund? Er agierte ganz anders, als er es in so einer lächerlichen Situation von ihm erwartet hätte. Fast wirkte es, als wäre Perry darauf erpicht, dass er und vermutlich auch Gucky Schwierigkeiten bekämen. Aber wie konnte er das wollen?

Die beiden Roboter flogen über das extra breite Feld zur Terrassentür von Guckys Villa. Vorsichtig klopfte der humanoide Roboter gegen die Umrandung der Tür und rief nach dem Ilt.
Sekunden später schälte sich der Mausbiber aus dem Hyperraum. Bull wunderte sich, dass Gucky so rasch auftauchte. Im Gegensatz zu ihm hatte er davon ausgehen müssen, dass über kurz oder lang die Staatsmacht aufkreuzte.
»Was ist euer Begehr, Blechmänner? Und wieso habt ihr die Edelmänner Perry Rhodan und Reginald Bull im Schlepptau?«
Er warf zuerst Rhodan, dann Bull einen Blick zu und zwinkerte dabei besonders auffällig. Bull blickte sich um und suchte nach etwas, das er werfen konnte. Seine Wut war inzwischen so groß, dass er sich in Kürze körperlich abreagieren musste. Hätte er das Frühstücksglas noch in Händen gehalten, er hätte es auf Gucky geschleudert. Andererseits … er konnte sich vom Servo ein Neues bringen lassen. Und zwar nicht nur ein Glas, sondern das komplette Glas-Sortiment seiner Küche.
Ich brauche einen besseren Plan. Gucky wirft mir die alle retour an den Kopf.


Bevor er Rachepläne schmiedete, musste er sich emotional Erleichterung verschaffen. Er öffnete seinen mentalen Abwehrschirm und zeigte Gucky gedanklich, an welchen Stellen er ihm die Fellhaare einzeln ausreißen würde.
»Ich identifiziere Sie als Plofre, genannt Leutnant Guck, auch bekannt als Gucky, geboren im Jahre 1832 oder 1833 terranischer Zeitrechnung auf dem Planeten Tramp. Ist das korrekt?«
»Was tust du, falls ich verneine?«
»Sir, ist das korrekt?«
Der Ilt zeigte den Nagezahn. »Abgesehen davon, dass du mich mit Informationen langweilst, die für mich keinerlei Neuigkeitsgrad haben: Ja.«
Trotz seiner Wut musste Bull grinsen. Der Kleine verarschte den Roboter, indem er die geschwollene Sprache imitierte. Zeitgleich fühlte er, dass dieser Tag noch schlechter enden würde als vermutet.
»Mister Plofre alias Leutnant Guck, alias Gucky, ich verhafte Sie wegen Hochverrats, Verletzung …«
»Moment. Das Treffen mit der arkonidischen Botschafterin letzte Woche war rein privat. Wir haben uns keine Sekunde lang über Staatsgeheimnisse ausgetauscht.«
»Das ist nicht der Vorwurf.«
»Die Geschichte mit dem akonischen Botschafter ist verjährt.«
»Wenn Sie mich bitte aussprechen lassen würden?«
Der Ilt machte eine auffordernde Handbewegung.
»Ich verhafte Sie wegen Hochverrats, Verletzung des Copyrights und der Persönlichkeitsrechte und Diebstahls und stelle Sie unter Hausarrest. Sie sind mit sofortiger Wirkung von all Ihren Ämtern suspendiert, die Autorisierungskodes werden soeben blockiert. Die Solare Staatsanwaltschaft nimmt von der Verwendung eines Parablockers Abstand, sofern Sie eidesstattlich erklären, dass Sie Ihr Grundstück nicht verlassen und auf den Einsatz von Paragrafen … äh, Paragaben verzichten.«
»Abgesehen davon, dass ich mich sicher nicht limitiere, was wird mir vorgeworfen?«
»Sie oder Mr. Bull haben Perry Rhodans Übernahmeaktion in OLD MAN aufgenommen und danach veröffentlicht. Dies stellt die vor zweiundvierzig Sekunden von mir erwähnten Delikte dar.«
»Wieso sollte ich dieses Gejaule aufnehmen und dann noch veröffentlichen?«
»Das Motiv gilt es im Zuge der Verhöre zu klären.«
»Kannst du dir sparen. Ich war es nicht, also kann es nur Bully gewesen sein.«
»Gucky, verflucht!«, brüllte Bull über das Feld und den Rasen hinüber. Innerlich bebte er. Lang würde ihn dieser bescheuerte Hausarrest nicht mehr auf der Stelle verharren lassen.
»Das behauptet Mr. Bull von Ihnen ebenso«, sagte der Roboter.
»Na, du bist mir ein Freund, Dicker!«
»Wir wissen beide, dass du es warst!«, schleuderte Bull ihm entgegen.

»Und was ist mit Perry?«
Stimmt! Wieso bin nicht auf den Gedanken gekommen?
Offenbar hatte sich der Ilt eine gewisse Distanz zu Perry bewahrt, die ihm im Laufe der Zeit abhandengekommen war. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, dass Perry sich je zu etwas Unsauberen hätte hinreißen lassen. Das musste er innerlich korrigieren. Auch Perry war nicht unfehlbar.
»Die Unschuld des Großadministrators in dieser Sache steht unzweifelhaft fest«, erklärte der Roboter.
Gucky kniff ein Auge zusammen und blickte Perry an, der mittlerweile ebenfalls das Anwesen des Ilts betreten hatte und an einem Kastanienbaum lehnte. Der Ast über seinem Kopf war so gebogen, dass die Blätter wie eine Art Heiligenschein wirkten.
»Wieso steht das fest? Vielleicht weil er der Großadministrator ist?«
»Die Polizei und die Staatsanwaltschaft werden vom Beruf des zu Vernehmenden nicht beeinflusst. Mr. Rhodan ist in dem Verfahren Zeuge. Doch zurück zu Ihrer Aussage, Sie werden sich – und ich darf Sie zitieren – sicher nicht limitieren, nachdem ich Sie um Verzicht der Paragaben ersucht habe.«
»Du hast mich ersucht, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, du Erinnerungsgenie.« Guckys Nagezahn blitzte auf. »Mein lieber Blechmann, die Verhaftung kannst du dir sonst wohin stecken, denn du verhaftest hier niemanden. Du befindest dich auf exterritorialem Gebiet.«
»Sir?«
»Dieses Grundstück ist identisch mit der Botschaft Tramps im Solsystem.«
Reginald Bull schüttelte den Kopf. Guckys Villa sollte die Botschaft von Tramp und er somit der Botschafter sein! So ein Schwachsinn!
»Sir, können Sie das belegen? Denn NATHAN weiß davon nichts.«
»Wundert mich nicht.« Der Ilt verschwand und die Luft füllte mit einem »Plopp« jene Stelle, an der eben noch gestanden hatte. Bull sah zu Rhodan, der stoisch die Szene verfolgte.
Guckys Plan konnte nicht funktionieren. Immerhin war Tramp im Jahre 2045 von den Orgh zerstört worden. Es konnte keine Botschaft eines nicht mehr existierenden Planeten auf Terra geben. Wobei – das System existierte ja noch.

Gucky kehrte zurück, in der Hand eine Urkunde mit goldenem Rand und verschnörkelter Schrift, die er dem Roboter überreichte.
»Alles echt mit Brief und Siegel.« Er klopfte mit seinem Schweif auf den gefliesten Terrassenboden. »Exterritoriales Gebiet, mein Lieber!«
Der Roboter scannte die Urkunde und schwieg für einen Moment, der für die positronische Verarbeitungsgeschwindigkeit eigentlich zu lang war. »Botschafter Guck, verzeihen Sie mein unerlaubtes Eindringen.«
»Botschafter Guck?« Bull schlug mit der Faust auf den Oberschenkel, um einen Wutschrei zu unterdrücken. »Die Urkunde kann nur gefälscht sein! Überprüfe sie erneut!«
»Mein lieber Solarmarshall a.D., die Mongolei hat mir seinerzeit dieses Stück Land zur freien Verfügung überlassen und mir die Exterritorialität zugesichert«, erklärte der Ilt, erneut ähnlich verschwurbelt wie der Staatsanwaltsroboter. »Die beiden Nachfolgestaaten, die Terranische Weltregierung und das Solare Imperium als Rechtsnachfolger haben den Botschaftsstatus dieses Grundstücks übernommen.« Er schwebte ein paar Zentimeter bissig lächelnd über den Boden. »Ich bin halt niemand, der damit hausieren geht.«
Die beiden Roboter glitten zurück zu Bulls Garten. Einer parkte neben den Tomatenstauden, der andere unter dem Marillenbaum.
»Nun, Mr. Bull, dann werden wir nur Sie zur Verantwortung ziehen.«
Bull brauchte einen Atemzug, um die Botschaft zu begreifen. Der Ilt – und es konnte nur Gucky gewesen sein! – verstieß gegen die Gesetze, und er war der Gelackmeierte?
Ganz sicher nicht!
»Gucky!«, brüllte er und rannte mitten durch das Mohrrübenfeld. Seine nackten Füße pressten den Erdboden nieder und drückten die Mohrrüben tiefer hinab.
»Mein Feld!«
Plötzlich verlor Bull den Boden unter den Füßen und fand sich in luftiger Höhe wieder. »Lass mich runter!«, brüllte er wild strampelnd.
»Zuerst stimmst du dem Buchvertrag zu!«
Bull schnappte nach Luft. »Darum geht’s dir? Um das Lausbiber-Buch?«
»Mausbiber, du Banause. Und auf dieses Kinderbuch warten die Kinder der Milchstraße seit mehreren Jahrhunderten. Endlich haben wir mit Reinhard Habeck einen genialen Zeichner und mit Andreas Findig einen wahrhaften Poeten gefunden, und du Kunstbanause und Analphabet erzählst mir ernsthaft, dass du kein Marktpotenzial erkennst?«
»Die Kids von heute wollen verfilmte Comics. Kein literarisch hochstehendes Buch, verdammt! Noch dazu aus Papier! Papier!« Wieso verstand der Mausbiber die Zeichen der Zeit nicht? »Wer liest heutzutage noch Bücher aus Papier?«
»Pah, die Marktrecherchen sagen etwas anderes!«

»Seid ihr dann fertig?«, unterbrach sie Perry Rhodan. Der Wind stieß die Blätter des Kastanienbaumes an, brachte sie zum Rascheln.
Wie auf Kommando blickten Bull und Gucky in seine Richtung.
»Lieber Leutnant Guck, ich darf dich davon in Kenntnis setzen, dass diesem Grundstück vor eineinhalb Stunden der exterritoriale Status aberkannt worden ist.«
»Von wem?«, fragte Gucky verdutzt. Prompt fiel Bull ein paar Meter nach unten. Er war aber immer noch zu weit entfernt, um den Kleinen in die Finger zu kriegen.
»Von mir höchstpersönlich«, antwortete Rhodan.
»Aber … aber … das kannst du nicht.«
»Doch. Und, mein Freund, es wurde nie ein Botschafter Tramps im Diplomatenregister eingetragen. Falls du vor der Gerichtsbarkeit flüchten willst, musst du dir eine andere Botschaft suchen.«
»Aber … aber …«
Bull fühlte Genugtuung. »Gestehe, dass du das Lied aufgenommen hast und wir beenden das hier.«
»Warte, Dicker, warte. Hier ist etwas faul.«
»Ja, nämlich du!« Bull drohte ihm mit der Faust. »Lass mich endlich …«
»Hochverrat. Hm.« Gucky verschränkte die Arme und tippte sich mit dem Zeigefinger ans Kinn. »Nur mal angenommen, ich hätte dieses ›Lied‹ veröffentlicht, wieso ist das Hochverrat?«
»Na, weil … weil …« Bull suchte nach einer Antwort und rief sich den Hochverratsparagrafen in Erinnerung. »Richtig, Kleiner. Hochverrat bedarf eines Umsturzes oder einer Rebellion.«
»Genau. Und es war nur ein Lied.«
»Aber ein fürchterliches«, ergänzte Bull.
»Stimmt. Man könnte uns …«
»Dich!«
»… wegen Beleidigung des guten Geschmacks anklagen.«
»Oder wegen Körperverletzung oder Verstoß gegen das Immissionsschutzgesetz.«
»Dann wohl eher Perry!«
»Ich kann euch hören«, mischte sich Rhodan ein.
»Sollst du auch«, antwortete der Ilt. »Also, was wird hier gespielt, in diesem faulen Staat, oh du mein König?«
Bull sparte sich die Richtigstellung der verhunzten Zitate. Gespannt blickte er zu Rhodan.
»Hochverrat ist tatsächlich anders definiert«, sagte sein ältester Freund.
Das große »Aber« hing regelrecht in der Luft.

»Wisst ihr, die Veröffentlichung des Liedes hat mich nicht gestört, denn sie macht mich wegen meines unterdurchschnittlichen Gesangs für die Menschen greifbarer.«
Bull nickte. »Und damit menschlicher und weniger abgehoben.«
»Dass das Lied ohne mein Wissen veröffentlicht wurde«, fuhr Rhodan fort, »nun, darüber hätte ich ebenso noch hinweggesehen.«
Jetzt kommt’s!
»Aber nachdem ich gesehen habe, auf welchem Konto das Geld landet …«
Richtig, die Verkaufseinnahmen. Daran hatte Bull noch gar nicht gedacht! Wirtschaftete Gucky etwa in die eigene Tasche?
»Was hast du mit dem Verkaufserlös gemacht?«, fragte Bull, der immer noch in der Luft schwebte. »Und lass mich ru…«
Prompt sackte er abwärts. Instinktiv wappnete er sich für den Aufprall, doch knapp über dem Boden fing ihn Gucky auf und manövrierte ihn zu Rand des Mohrrübenfeldes. Dort erst verschwand die telekinetische Kraft und Bull plumpste unsanft auf die Wiese.
»Perry, was stört dich am Verein der Mohrrübenzüchter am Goshun-See als Nutznießer des Liedes?«, wollte Gucky wissen.
»Dass der Verein neben dir nur zwei weitere Mitglieder hat.«
»Jumpy und Iltu«, ergänzte Bull, der aufstand und sich die Erde vom Hintern fegte. Seine Wut war zwar geringer, aber immer noch nicht verraucht. Gucky musste irgendwie für diesen Schwachsinn büßen.

»Ich habe mit einer Handvoll Solar gerechnet«, gestand der Ilt kleinlaut. »Woher sollte ich ahnen, dass die Single so durchstartet?«
»Mitdenken war noch nie deine Stärke.« Unauffällig verkürzte Bull die Distanz zu dem Mausbiber. Vielleicht konnte er ihm ja auf den Schwanz treten.
»Vergiss es, Dicker. Bevor du mich berührst, landest du im See.«
»Wenn ihr nicht sofort mit dem Kindergarten aufhört, lasse ich euch wirklich verhaften!« Rhodan löste sich vom Kastanienbaum. Seine Haare streiften die Blätter eines besonders tiefhängenden Astes.
»Sorry, Perry, aber wir haben die Gewaltenteilung und …«
Bull schwieg, nachdem ihm Rhodan einen eisigen Blick zugeworfen hatte.
»Also schön«, meinte Gucky. »Wir suchen uns eine echte karitative Einrichtung.«
»Das ist ein Anfang.«
»Was willst du denn noch, Perry?«
»Dass ihr mitdenkt.«
»Moment!«, grätschte Bull verbal dazwischen. »Ich habe nichts mit der Sache zu tun.«
»Zur dir komme ich gleich.«
Bull lag ein »Sir, jawohl, Sir!« auf der Zunge, aber er wollte Rhodan nicht provozieren. Sein Freund war ohnehin ungewöhnlich ernst. Humor zog an diesen Morgen an ihm vorbei wie zuvor die beiden Space-Jet-Wolken an der Sonne.
»Ihr seid meine engsten Vertrauten und steht wie ich in der Öffentlichkeit. Jede eurer Handlungen fällt auf mich zurück, sobald wir uns wieder im Wahlkampf befinden. Ja, ich wurde die letzten Jahrhunderte wiedergewählt, aber das können wir nicht die nächsten fünftausend Jahre voraussetzen. Was würde die Presse sagen, sobald sie entdeckt, wer die Einnahmen erhält?«
Gucky zog die Mundwinkel nach oben. »Nenn mir eine Organisation und ich ändere das sofort.«
Rhodan nickte dankbar. »Und bei euren Firmen müsst ihr ebenfalls vorsichtig sein. Jede Art von Marktmanipulation oder Vormachtstellung durch Insiderwissen ist ein gefundenes Fressen für Enthüllungsjournalisten.«
»Gucky, wir müssen uns da wirklich besser abstimmen.« Bulls Wut war fast verraucht. Perry Rhodan hatte es durch seine pragmatische Sicht der Dinge wieder einmal geschafft, die Situation zu wandeln.
»Stimmt, Dicker. Wir müssen uns überlegen, wie wir ein Unentschieden in unseren Firmen handhaben.«
»Münzwurf.«
»Puh, das ist mir zu viel des Zufalls.«
»Das könnt ihr allein besprechen.« Demonstrativ blickte Rhodan auf die Uhr. »Die Pflicht ruft – neue Erkenntnisse auf OLD MAN.«

»Warte«, rief der Ilt. »Hast du den exterritorialen Status meiner Villa wirklich aufgehoben?«
Rhodan schüttelte den Kopf. »Ist mangels Botschafter unnötig.« Er ging entlang einer Furche des Feldes zurück auf Bullys Grundstück und steuerte den Ausgang an.
»Perry, einen Moment.«
Rhodan verharrte und sah den Mausbiber abwartend an.
Der Ilt legte den Kopf schief. »Das glaubt ihr nicht. Das Lied ist nun sogar Nummer eins bei den Maahks in Andromeda!«
Bull beschloss, sich den Tag im Kalender rot anzustreichen und sich den Moment zu merken. Rhodan stand da, bewegungslos und mit offenem Mund – eine Seltenheit für den Sofortumschalter.
»Könnt ihr euch das vorstellen?« Gucky kicherte. »Die Maahks haben Charts, und dann noch Perry als Nummer eins. Das ist fast abartig.«
»Was sagt das über deren Musikgeschmack?«, nahm Bull den Ball auf.
»Nichts Gutes«, fand Rhodan die Sprache wieder.
»Eigentlich schreit das nach einer weiteren Single!«, meinte der Ilt.
»Oh, ganz sicher nicht. Das war, ist und wird eine Einmalaktion bleiben.«
»Stimmt, nach der Nummer eins gibt es keine Steigerung mehr. Andererseits … jeder Soli mehr Geld für karitative Zwecke ist ein gewonnener Soli.«
»Dann verdopple ich lieber die Einnahmen dieser Single aus eigener Tasche.«
»Da hänge ich mich an«, sagte Bull.
»Klar, setzt mich mit eurer Kohle nur unter Druck.« Der Ilt seufzte. »Gut, ich spende natürlich ebenso wie ihr.«
»Dann verbuchen wir diesen Tag als erfolgreichen Tag für das Universum.« Rhodans Laune hatte sich sichtlich gebessert. Er zwinkerte ihnen zu.
»Gucky, Bully und Perry – das Dreamteam für geknechtete Witwen und Waisen.«
Bull sah sich genötigt, auch einen Spruch zum Tage beizutragen. »Auf dass der Kosmos täglich ein bisschen besser wird.«
»Ich muss los. Jumpy ruft mich.« Der Ilt winkte.

»Stopp!«, rief der Staatsanwaltsroboter. »Aufgrund der Verletzung des Hausarrests und der Aberkennung der exterritorialen Eigenschaften nehmen wir Sie beide wegen Verdunkelungs- und Fluchtgefahr in Gewahrsam.«
Bull sah den Polizeiroboter auf sich zukommen und wich zurück. »Perry, was ist jetzt mit dem los? Ich dachte, du wolltest uns eine Lektion erteilen!«
»Da hast du etwas missverstanden. Ich habe die Staatsanwaltschaft ersucht, dass ich mit euch persönlich sprechen kann.« Er blickte Bull entschuldigend an. »Ich kann dagegen nichts machen, denn ich bin der Staatsanwaltschaft gegenüber nicht weisungsbefugt. Ihr werdet euch schon vor dem Gesetz verantworten müssen.«
Der Polizeiroboter aktivierte die Abstrahlmündungen der Waffenarme.
»Gucky!«, brüllte Bull. »Die meinen es ernst!«
Übergangslos materialisierte der Ilt neben Bull und brachte ihn mit einer Teleportation vorläufig aus der Reichweite des Roboters.
»Flucht ist zwecklos.« Der Polizeiroboter änderte die Flugrichtung.
Bulls Gedanken ratterten. Wie lange konnten Gucky und er der gut organisierten Staatsmacht entkommen? Sollten sie mit einem Schiff aus dem Solsystem flüchten oder vorerst untertauchen?
Auch Gucky war mit der Entwicklung überfordert. Seine Hand, die in Bulls Handfläche lag, zitterte. In Gedanken zimmerte Bull einen schnellen Plan. Sie mussten …
»Ich seh euch schon auf den Spuren von Bonnie und Clyde.« Rhodan grinste und winkte den Robotern. »Lasst es gut sein!«
Der Roboter drehte ab.
Bull brauchte wie Gucky ein paar Herzschläge, um zu begreifen, dass Rhodan sie in der Tat hereingelegt hatte.
»Das kriegst du zurück!« Gucky drohte dem Großadministrator mit der Faust. »Hast Glück, dass mein Sohn mich dringend braucht«, sagte er und teleportierte.

Rhodan kam zu Bull, klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und verschwand mit den Robotern im Schlepptau. Obwohl es sein ältester Freund nicht ausgesprochen hatte, hing das »Nichts für ungut« in der Luft, als täte ihm die ganze Aktion doch ein wenig leid.
Eigentlich hätte er Rhodan einen solchen Aufwand für eine Lektion nicht zugetraut, verstand aber die Beweggründe. Manchmal musste es plakativ sein, damit es wirkte. Und gerade Gucky sah manches einfach zu locker.
Der Schrei eines Reihers lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Goshun-See.
Die laue Brise war stärker geworden. Die Wasseroberfläche war nicht mehr leicht gekräuselt, sondern wellte sich. Zu den zwei Space-Jet-Wolken waren Dutzende ausgefranste Korvetten und ein wie eine Blume aufgeschweißter Imperiums-Kugelraumer gestoßen. Auch im See hatten sich die vereinzelten Fische in ganze Fischschwärme verwandelt, die nahe der Oberfläche nach Nahrung suchten. Statt des Kaffeedufts roch es nun nach … ja, Freundschaft. Obwohl er sich geärgert hatte, war da dieses Urvertrauen, das ihn mit Gucky und Perry verband. Gleichgültig, was zwischen ihnen stand, sie würden sich zuhören und für alles eine Lösung finden. Welche Art von Schweinerei das Universum für sie bereithielt, sie würden sie gemeinsam überwinden. Denn sie stellten das eigene Ego nicht so hoch, dass sie die Meinung der anderen als unwichtig abwiesen. Und gleichgültig, wie tief sie fallen würden, sie würden sich gegenseitig aufhelfen. Denn nur, wer immer wieder durch das Tal schritt, wusste den Gipfelsieg zu schätzen.
Mit einem wohligen Gefühl ging er zum Liegestuhl, setzte sich hinein und wartete auf den Regen. Denn nach dem Regen kam der Sonnenschein. Und dann würde er endlich richtig frühstücken.

Ende

Ein Gedanke zu „»Für eine Handvoll Solar« von Roman Schleifer“

  1. Schöne Charakterisierung! Past super auf alle drei (so wie ich die Charaktere sehe) Hat mich zum Schmunzeln, zum Nachdenken und zum Zustimmen angeregt! Und ja, auch Perry passt da mit der Charakterisierung, meiner Meinung nach!

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