Logo 60 Jahre PERRY RHODAN Tribut – Beitragsbild

»Die Passagiere« von Marlene von Hagen

»Ich bin verzweifelt.« Kerin Tjak zupfte an seinen langen Bartzöpfen. »Vielen Dank, dass du mir einen Moment deiner kostbaren Zeit schenkst. Ich habe von deinem diplomatischen Geschick gehört und erbitte deine Hilfe. Geld spielt dabei keine Rolle.«
Perry Rhodan winkte ab. »Worum geht es?« Er stand in Begleitung eines arkonidischen Offiziers und zweier Arbtanen am Rande einer abgesperrten Parkanlage. Die beiden Soldaten waren einen Kopf kleiner als der befehlshabende Orbtone, strahlten aber die gleiche respekteinflößende Strenge aus wie ihr Vorgesetzter.
»Die sechzig Passagiere auf meinem Schiff weigern sich, es zu verlassen. Ich habe bereits alles versucht, um sie zum Aussteigen zu bewegen. Aber sie sagen, die Arkoniden machen ihnen Angst. Ihre Größe, ihr Verhalten irritiert sie. Vielleicht sprechen sie mit dir. Du bist ein redebegabter Terraner und hast viel Erfahrung mit fremden Völkern.«
»Von welchem Planeten stammen die Passagiere?«
»Das würde ich dir gerne unter vier Augen erzählen. Abseits der Arkoniden.« Kerin Tjak beäugte den strammstehenden Orbtonen und die beiden Arbtanen.
»Wieso sollte Perry Rhodan mit dir gehen?«, mischte Geliat sich ein. Der über zwei Meter große Orbtone hob seinen Kombistrahler ein Stück hoch. »Das könnte eine Falle sein, Perry Rhodan. Du weißt, die Mehandor sind ein listenreiches Volk.«
Kerin Tjak straffte die Brust. »Du beleidigst mich! Ich bin ein ehrbarer Händler.«
Perry bedeutete dem Arkoniden, seine Waffe zu senken. »Es ist alles in Ordnung. Wo steht dein Schiff, Kerin Tjak?«
»Hinter dem Hügel.« Der Händler deutete einen geschlungenen Weg entlang, der an einem Teich vorbeiführte. Am Ende des Teiches war ein Hang zu sehen.
»Ein ungewöhnlicher Ort für einen Landeplatz. Du solltest gar nicht hier sein«, schalt Geliat. »Diese Parkanlage wird erst morgen mit einem Fest eröffnet. Perry Rhodan wird eine Rede halten.« Er zeigte auf ein reichlich mit Blüten und Bändern geschmücktes Podest in der Nähe. »Wusstest du das, Kerin Tjak?«
»Ich …«
»Der Mann wird einen Grund dafür haben, weshalb er nicht auf einem größeren Handelshafen gelandet ist«, wies Perry den Offizier zurecht und wandte sich an den Mehandor. »Führe uns bitte zu deinem Schiff.«
Kerin Tjak musterte Geliat mit grimmigem Blick, ehe er nickte. »In Ordnung. Bitte folgt mir.«

In dem künstlich angelegten Teich, der die Form eines Halbmondes hatte, tummelten sich fluoreszierende Amphibien vom Planeten Sotur. Ihr Anblick erinnerte Perry Rhodan an terranische Nordlichter. Kurz fühlte er sich an einen Spaziergang auf der Erde in seiner Jugend erinnert. An einen Tag, der so heiß war wie der heutige.
Das üppige Laubwerk der Jojoranbäume spendete ein Stück des Weges lang Schatten, trotzdem spürte er Schweiß auf seiner Stirn. Tararavögel huschten zwischen den langen Ästen eines Baumes hin und her und balzten mit schrillem Gesang um die Gunst eines Weibchens. Es war doppelt so groß wie ihre männlichen Artgenossen und zeigte nur Interesse für die dargebotenen Geschenke ihrer Verehrer. Daumengroße Larven, zehnbeinige Spinnen, winzige, schwarze Käfer und blaue Blüten. Annäherungsversuche der Männchen wehrte sie mit ihrem breiten Schnabel ab, der selbst Mäuseknochen brechen konnte. Respektvoll wichen die Verehrer nach gescheiterten Avancen zurück und trillerten weiter.
Perry Rhodan hustete, als er versehentlich einen Schwarm winziger Fliegen streifte.
Das kommt davon, wenn man nicht auf den Weg achtet, dachte er.
»Die Anlage ist den Erbauern wahrlich gelungen«, sagte Perry, um die Stille zwischen ihnen zu unterbrechen. »Ich habe selten so viele verschiedene Tiere und Insekten auf Arkon I gesehen. Flora und Fauna scheinen sich hier versammelt zu haben, wie in einem Biotop auf der Erde.«
»Ein Biotop?«, hinterfragte Geliat. Er musterte Perry mit seinen roten Augen. Sie strahlten Härte, aber auch Neugierde aus.
»Es ähnelt diesem Gebiet um den Teich. Seht!«
Im Schilf am Ufer jagte eine struppige Dremetze kleineres Getier. Als sie die vorbeigehenden Humanoiden bemerkte, huschte das katzenartige Pelztier aufgeschreckt davon.
»Dremetzen sind lästiges Unkraut.« Geliat starrte dem Tier nach. »Ich hasse Dremetzen.«
»Ich dachte, alle Arkoniden lieben diese Haustiere?«
»Mich hat eine als Kind gekratzt. Seitdem jage ich sie. Das Vieh hatte Glück, dass es weit genug weg war.«
»Das ist dir also über die Brustplatte gelaufen!« Der Mehandor lachte. »Ein kleines Pelztier.«
Geliat knurrte. Mit leicht gehobener Waffe machte er einen Schritt auf Kerin Tjak zu.
Perry hielt ihn mit einer Hand auf. »Das war nur ein Scherz.«
»Der Mehandor soll lieber aufpassen, dass er nicht an den Flöhen in seinen vielen Haaren krepiert. Oder nachts an seinen eigenen Bartzöpfen erstickt!«
Perry Rhodan schüttelte den Kopf, als Kerin Tjak zu einer Antwort ansetzte.
Der Mehandor lief rot an, hielt aber seinen Mund. Den restlichen Weg bis zum Hügel schwiegen sie.

Perry sog den nach Pfeffer riechenden Duft iryllischer Kornblumen ein, die in einem Beet neben der Straße wuchsen. Er hatte sich die geplante Besichtigung der Anlage vor seiner Rede am morgigen Tag anders vorgestellt. Aber er würde die auf diese Weise gewonnenen Eindrücke nutzen, um lobende Worte für die Architekten und Gärtner zu finden. Alles im Dienste der intergalaktischen Diplomatie.
Der Hang war steiler als aus der Ferne erwartet. Auf dem Hügel stand ein einzelner Melshakbaum, auf dem reife Früchte hingen. Ihr süßlicher Geruch lag in der Luft, während sie hinaufstiegen.
Kerin Tjak keuchte, als sie die Hügelkante erreicht hatten, und blieb stehen. »Verzeiht, ich hatte wenig Erholung in den letzten Tagen.« Er deutete voraus, den Hang hinab, auf eine Wiese mit rotem Gras. »Dort unten ist es.«
»Du hast dein Schiff auf einer Wiese gelandet?«, fragte Perry Rhodan überrascht. »Ich nahm an, dass du einen Landeplatz für Besucher der Parkanlage gewählt hättest.«
Der Mehandor zuckte mit den Schultern. »Es hat sich so ergeben.«
»Für Schäden wirst du bezahlen müssen«, mischte Geliat sich mit scharfer Stimme ein. »Weißt du, was Grassamen aus Belurat kosten?« Der Arkonide schnaubte. »Vermutlich verdienst du in einem Jahr gerade mal so viel, wie ein kleiner Sack davon wert ist.«
»Was ich verdiene, geht dich gar nichts an«, blaffte Kerin Tjak.
»Beruhigt eure Gemüter. Wir werden gleich weitergehen.«

Perry betrachtete das mittelgroße Handelsschiff. Die Frachterschotte standen weit offen. Im Inneren flackerte gedämpftes Licht. Ein vierbeiniges Geschöpf bewegte sich hinter dem Eingang. Ein zweites folgte ihm.
»Einhörner?«, fragte Perry stirnrunzelnd.
»Ja«, antwortete der Mehandor. »Sechzig, um genau zu sein.« Er musterte Perrys Gesicht. »Du hättest mir nie geglaubt, wenn du sie nicht selbst gesehen hättest.«
»Woher kommen sie?«
»Aus der Manam-Turu-Galaxie.«
»Der Mann lügt«, blaffte Geliat. »Das ist nicht möglich.«
»Es ist die Wahrheit«, erwiderte der Mehandor gereizt. »Die Einhörner haben mir ihren Heimatplaneten genannt.«
»Wie hast du diese weite Distanz überwinden können?«, fragte Perry.
Kerin Tjak seufzte. »Ich habe vor vier Tagen eine anonyme Anfrage per verschlüsselter Hyperfunkverbindung erhalten. Es ging um den Transport von sechzig Flüchtlingen. Ich befand mich zu diesem Zeitpunkt auf einem abgelegenen Handelshafen auf Arkon II. Mein Schiff war das einzige dort. Ich gab meine Zustimmung, die Flüchtlinge abzuholen. Dann ging alles sehr schnell. Mein Auftraggeber muss eine Art Fiktivtransmitter verwendet haben. Ich weiß, es sollte unmöglich sein, aber ich kann mir den Transfer nicht anders erklären.«
»Ein Fiktivtransmitter? Niemand sollte diese Technik beherrschen können. Erzähl mir bitte mehr. Wie verlief dieser Transfer?«
Sie gingen weiter.

»Ich war plötzlich wie geblendet. Alles ruckelte und ich verlor die Kontrolle über mein Schiff. In meinem Kopf hörte ich ein Pfeifen. Als es verstummte, stand mein Schiff auf einer grünen Wiese, auf der Einhörner grasten. Ich wusste nicht, wo ich war und musste erst wieder zu Sinnen kommen.«
»Zuvor hatte man dich nicht über dein Reiseziel informiert?«, fragte Perry.
»Nein. Der Auftraggeber hat mich sehr gut bezahlt.« Der Mehandor sah verlegen zur Seite und strich über seinen roten Bart. »Aber dass ich mich plötzlich auf einem weit entfernten Planeten wiederfinden würde, hätte ich nicht gedacht. Wie in Trance stieg ich aus, sprach die Einhörner an und sorgte dafür, dass sie mir auf mein Schiff folgten. In der Ferne hörte ich einen Knall, gerade als das letzte eingestiegen war. Ich schloss in Eile die Hangarschotte und wollte mein Schiff starten, ehe die Verursacher des Knalls uns eingeholt hatten. Sicherlich hatte man auf uns geschossen. Aber ich wurde erneut geblendet, durchgeschüttelt und mit einem unangenehmen Ohrenklingeln aus der Fassung gebracht. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich hier, auf Arkon I. Ich musste erst meine Positronik nach meiner Reiseroute befragen. Ich war völlig orientierungslos. Meine Passagiere hatten noch weniger Ahnung, wie unsere Reise zustande kommen konnte, als ich. Es war für alle angsteinflößend und unerklärbar. Ich hatte danach einen ganzen Tag lang furchtbare Nackenschmerzen.«
»Und dein Auftraggeber?«
»Hat sich seit meiner Ankunft nicht gemeldet.«
»Du hast keine Anhaltspunkte, um wen es sich handelt?«
»Nein. Wie gesagt, wir kommunizierten über den Hyperfunk.« Der Mann zuckte mit den Schultern. »Das kommt ab und zu vor. Nur bin ich jetzt ratlos, wie ich meine Fracht wieder loswerde. Die Einhörner weigern sich, mein Schiff zu verlassen. Dabei sollte ich längst auf Arkon II sein. Ich habe Verträge zu erfüllen. Verstehst du mich?«
»Ja.«

»Ich will vermeiden, sie mit Gewalt aus dem Frachter zu schaffen. Zwei tierkundige Arkoniden habe ich bereits dafür bezahlt, sie zum Aussteigen zu überreden. Aber die Einhörner hatten sich in Angst nur tiefer in den Frachtraum verkrochen. Vielleicht gelingt es dir, sie zur Vernunft zu bringen.«
Perry nickte. »Keine Sorge. Ich regle das.«
Sie hatten den Frachter erreicht. »Geliat, bleib mit deinen Männern hier. Wir gehen ohne euch in das Schiff.«
»Das halte ich für keine gute Idee, Perry Rhodan. Dieser Mann hat entweder den Verstand verloren oder ist ein Lügner.«
»Ich bin völlig bei Sinnen und sage die Wahrheit!« Das Gesicht des Mehandors lief rot an.
»Ich glaube dir, Kerin Tjak«, versicherte Perry Rhodan und wandte sich dem Offizier zu. »Ich weiß, du fühlst dich für meine Sicherheit und diese Anlage verantwortlich. Aber ich kann mein Gegenüber sehr gut einschätzen. Deshalb habe ich auch nach dir verlangt, Geliat. Du bist ein zuverlässiger Orbtone. Überwache bitte die Gegend, während ich mit den Passagieren rede, damit niemandem etwas passiert.«
Der Offizier überlegte kurz, ehe er nickte. »Ich vertraue deinem Gespür, Perry Rhodan. Bleib trotzdem vorsichtig.« Geliat bedeutete seinen Arbtanen, vor dem Eingang Stellung aufzunehmen.
»Komm bitte mit, Kerin Tjak«, bat Perry und stieg die Rampe empor.
»Dieser Arkonide sollte mal Luft holen«, murmelte der Mehandor zwischen seinen Bartzöpfen. »Sonst erstickt er noch an seiner Arroganz.«
»Er macht nur seine Arbeit«, meinte Perry und blieb am Ende der Rampe stehen.

Der Geruch von Zuckerwatte und feuchtem Gras nach einem verregneten Morgen stieg ihm in die Nase. Gleichmäßige Atemgeräusche und leises Schnauben waren zu hören.
Mit ihrem silbergrauen Fell ähnelten die Einhörner einander wie eineiige Geschwister. Eng aneinandergepresst kauerten sie in der Mitte des Transporterraumes. Als Perry eintrat, versuchten die Vordersten zurückzuweichen, aber sie kamen nicht weit. Nur einen Huf breit weiter hinten stießen sie gegen ihre Gefährten.
Perry hob besänftigend die Hände. »Mein Name ist Perry Rhodan. Ich bin ein Freund. Wer ist euer Anführer?«
Die Einhörner warfen einander fragende Blicke zu, manche schüttelten das Haupt.
»Wir haben keinen Anführer«, antwortete eines der Wesen mit heller, klarer Stimme.
»Dann hört mir bitte alle zu.«
»Wir reden nur mit Dartfur!«, stieß ein anderes Einhorn hervor.
»Genau!«, rief ein weiteres. Andere stimmten ihnen mit Gemurmel oder einem Nicken bei.
Dartfur?, überlegte Perry. Laut sagte er: »Dartfur ist nicht hier. Ihr müsst mit mir sprechen«, erklärte er. »Was ist geschehen?«
»Wieso sollten wir mit dir reden?«, fragte eines der Wesen.
»Ja, genau! Wo ist Dartfur?«
»Wenn ihr mir mehr über ihn erzählt, kann ich euch helfen, ihn zu finden.«
Die Einhörner schwiegen.
Eines trat vor. Es sah magerer aus als die anderen, mit tiefblauen, wissenden Augen. »Ich bin Cunet, der Älteste der Gruppe. Dieser Zweibeiner hat uns gesagt, Dartfur würde uns hier abholen.« Cunet deutete mit dem Horn auf Kerin Tjak. »Sonst wären wir gar nicht in dieses laute, kalte Unding gestiegen.«
Perry warf dem Mehandor einen fragenden Blick zu.
Kerin Tjak zuckte mit den Schultern. »Mein Auftraggeber hat mir gesagt, ich solle den Einhörnern ausrichten, dass sie hier mit Dartfur sprechen werden. Anders hätten sie sich nicht aus der Sklaverei befreien lassen. Sie wollten mein Schiff partout nicht betreten.«
»Verstehe«, meinte Perry. Er wandte sich wieder an das Einhorn. »Ihr seid also Flüchtlinge, auf der Suche nach einem neuen Zuhause?«
Cunet legte das Haupt schief. Seine Mähne war dünner als die der anderen Einhörner, und ihm fehlte ein Zahn. »Ja und nein. Die Zeiten haben sich rückläufig geändert. Einige von uns wurden eingefangen und versklavt. Wir sind ein friedliches Volk. Dartfur weiß das. Bestimmt wollte er uns retten und hat dafür gesorgt, dass wir entkommen. Davon bin ich überzeugt.«
»Vor wem entkommen?«
»Den Mohennas. Den neualten Herren von Mohenn. Sie möchten uns wieder versklaven, wie einst meine Vorfahren zu Urgroßvater Nussels Zeiten.«
»Ist Dartfur euer Anführer?«
»Er war unser Lehrer.«
»Worin hat er euch unterrichtet, Cunet?«
»Er nannte es: logisches Denken.«
»Was ist mit ihm geschehen?«
»Ich war noch an die Milch meiner Mutter gebunden, als er verschwand. Manche behaupteten, er sei gestorben. Aber das glaube ich nicht. Meine Erinnerungen an ihn verblassen langsam, aber ich bin mir gewiss, dass wir ihn wiedersehen werden.«
»Kannst du mir Dartfur ein wenig beschreiben?«
Cunet überlegte. »Er ging auf zwei Beinen, wie ihr, aber er war breiter gebaut, haarlos und seine Augen glänzten in der Sonne wie Diamanten. Seine Stimme war angenehm und er war sehr klug. Leider hatte ich kaum die Gelegenheit, etwas von ihm zu lernen. Ich war einfach zu jung.«
Perry Rhodan dachte nach. »Ich werde versuchen, mit Dartfur Kontakt aufzunehmen. Das kann ein paar Tage dauern. In der Zwischenzeit benötigt ihr eine andere Unterkunft. Kerin Tjak muss seinen Aufträgen nachgehen. Ich bringe euch auf eine Farm in der Nähe. Dort wird es euch gefallen. Oder wollt ihr noch mehr Zeit in diesem kalten Unding verbringen?«
Der Einhorngreis sah sich um. »Nein, jeder Ort ist besser als dieser. Wir folgen dir.«

*

Die Einhörner grasten wie Pferde zwischen den Quatus auf der abgesicherten Weide. Der Wind wirbelte ihre strahlend weißen Mähnen und die Schweife auf. Sie wirkten zufrieden neben den arkonidischen Tieren, deren seidene Pelze im Sonnenlicht irisierten. Es war ein idyllisches Bild. Ein trügerisches Bild. Es war falsch.
Perry Rhodan hatte seine Positronik nach dem Wesen namens Dartfur befragt und keinerlei Daten erhalten. Auch über die Spezies der Einhörner gab es nur einen kurzen Eintrag, der von Atlan kam. Kein anderer Galaktiker war sonst je dort gewesen.
Einhörner lebten in Herden bis zu hundert Tieren und ernährten sich vorwiegend von süßlich schmeckendem Gras. Sie verfügten über eine Art Paragabe, Gefahren vorausschauend zu erkennen, aber die Fähigkeit des planvollen Handelns war ihnen aufgrund einer Mutation im Gehirn abhandengekommen. Das ausgestorbene Volk der Metagyrrus galt als ihre wahrscheinlichen Vorfahren. Nur die rudimentären Flügel auf ihren Schultern waren bei den Einhörnern nicht mehr zu sehen. Mehr Informationen hatte er nicht.
Wäre Atlan hier, könnte ich ihn dazu befragen.
»Ich grüße dich, Perry Rhodan!« Cunet lächelte, als er näher kam. »Hast du Neuigkeiten für uns?«
»Ich habe die Bewohner der nächstgelegenen Ortschaft, Karthim, nach Dartfur befragt. Niemand hat etwas von ihm gehört. Wie kam es überhaupt dazu, dass Dartfur euer Lehrer wurde?«
Das Einhorn überlegte. »Dartfur sagte, jemand hätte ihn damit beauftragt, uns zu unterrichten. Ich erinnere mich aber nicht mehr daran, wie er hieß. Tut mir leid. Ich vergesse in den letzten Jahren so viel. Selbst mein Alter.«
»Schon gut.« Perry sah sich um. Alles wirkte friedlich. »Wie gefällt es euch hier?«
»Gut. Es ist fast wie auf Mohenn. Das Gras schmeckt viel süßer, die Sonne ist wärmer und die Quatus sind angenehme Gefährten. Trotzdem sehnen wir uns nach einem eigenen Zuhause. Wie lange glaubst du, werden wir noch hierbleiben?«
»Bislang hat sich niemand bei uns gemeldet, der euch sprechen möchte.«
»Aber jemand hat doch für unsere Reise hierher bezahlt. Wenn es nicht Dartfur war, wer dann?«
»Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten. Vielleicht ist derjenige noch verhindert. Ich höre mich weiter um. Versprochen.«
»Danke.« Das Einhorn hinkte davon. Sein Schweif war nicht mehr so dicht wie die der anderen und wirkte matter.

Perry winkte Geliat zu, der mit den Arbtanen über das Gelände patrouillierte. Drei Sicherheitsroboter umkreisten zusätzlich die Weide. Solange Perry nicht wusste, wer und warum jemand diese Wesen nach Arkon I geholt hatte, wollte er für ihren Schutz sorgen. Zu viele Fragen waren noch unbeantwortet.
Geliat kam näher. »Wie war deine Rede, Perry Rhodan?«
»Ermüdend. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu den Einhörnern ab, aber den Leuten hat es gefallen. Ich bin froh, dass ich mich in meiner Abwesenheit hier auf dich verlassen konnte, Geliat.«
»Meine Arbtanen sind die Besten.« Er straffte die Brust.
»Daran hege ich keinerlei Zweifel.« Perry nickte zustimmend. »Entschuldige mich bitte. Ich muss mich ausruhen.« Er zog sich in den Trichterbau am Ende der Weide zurück und dachte nach.
Sechzig Einhörner. Wer wollte sechzig Einhörner? Und was hatte er mit ihnen vor?

*

»Perry Rhodan!«
Ein Schrei riss ihn aus dem Schlaf. Er richtete sich im Bett auf und blickte aus dem Fenster des Trichterbaus. Lichter erhellten die in der Dunkelheit liegende Landschaft. Einhörner und Quatus liefen kreuz und quer über das Gras.
Perry zog sich rasch eine Hose und Stiefel an, und schnappte sich sein Oberteil. Im Laufschritt verließ er das Zimmer und rannte die Treppe nach unten.
Geliat eilte ihm im Untergeschoss entgegen. Seine Augen tränten.
»Was ist geschehen?«, fragte Perry und schlüpfte in sein Hemd.
»Sie sind gekommen. Sie sagen, sie holen die Einhörner.«
Trotz seiner massigen Gestalt und des Kombistrahlers sah er verschreckt aus.
»Wer?«
»Geflügelte Einhörner«, stieß er hervor. Seine Augen tränten stärker.
»Wie konnten sie die Raumabwehr überwinden?«
»Sie waren plötzlich da. Wie aus dem Nichts. Drei sind bereits ausgestiegen und haben die Einhörner angesprochen. Meine Männer überwachen sie, aber wir müssen rasch zu ihnen zurück.«

Perry verließ mit Geliat das Gebäude. Die beiden Arbtanen standen unweit des Trichterbaus. Sie richteten ihre Paralysatoren auf ein raumgleiterähnliches Gefährt, das auf der Weide gelandet war. Die Luke des Schwebers öffnete sich geräuschlos.
Drei vierbeinige, hochgewachsene Gestalten mit einem Horn auf der Stirn traten ins Freie. Sie trugen rote, maskenähnliche Gesichtsteile mit Öffnungen für die Augen und glänzende Anzüge. Auf ihren Schultern befanden sich rudimentäre Flügel.
»Metagyrrus«, murmelte Perry. Wir dachten, sie seien ausgestorben. Wenn das Atlan wüsste!
»Hey!«, rief Geliat und fuchtelte mit den Armen. »Was ist das für ein Naatdung?« Sein Kombistrahler schwebte über ihm außer Reichweite. Auch den beiden anderen Arkoniden waren ihre Paralysatoren entzogen worden. Sogar die Sicherheitsroboter schwebten in der Luft und bewegten orientierungslos ihre Körperteile.
Telekinese, dachte Perry.
»Wir kommen in Frieden!«, hallte eine Stimme über die Weide. Sie klang tief und bestimmend.
»Friede sieht für mich anders aus«, entgegnete Perry Rhodan und schritt auf die drei Wesen zu. Im Augenwinkel sah er zwei weitere Flugobjekte in der Dunkelheit, die ihre Lichter ausgeschaltet hatten. Metagyrrus standen davor und redeten mit einer Gruppe Einhörner.
»Was wollt ihr hier?«, fragte Perry und blieb vor dem Sprecher der geflügelten Wesen stehen.
»Wir holen die Einhörner ab.«
»Habt ihr für ihre Entführung hierher bezahlt?«
»Es war keine Entführung. Sie gingen freiwillig.«
»Unter einem falschen Vorwand. Sie dachten, ihr Lehrer Dartfur würde sie hier treffen. Weshalb diese Lüge?«
»Wir kennen unsere Artverwandten«, meinte das Metagyrrus selbstsicher. »Und ihre Geschichte. Und wir kennen dich, Perry Rhodan.«
»Weshalb kenne ich euch nicht?«
»Deine Erinnerung an uns liegt noch in ferner Zukunft. Sie wird eines Tages Vergangenheit sein, wie wir. Dennoch existiert sie in jeder Zeit. Wir sind der Beweis dafür.«
»Ihr sprecht von Zeitreisen?«
Das Wesen nickte. »Wir wissen, dass unsere Art in dieser Zeit ausgestorben ist. Aber dies hat seinen Sinn und Zweck. Sorge dich nicht, Perry Rhodan. Wir leben weiter, in der Zukunft. Wie diese Einhörner. Du wirst es eines Tages verstehen. Vertraue uns.«
»Wie soll ich jemandem vertrauen, der eine Gruppe friedlicher Wesen unter falschem Vorwand aus seiner Heimat entführt? Mit einer Technologie, die gar nicht mehr existieren dürfte?«
»Die Zukunft wird es dir erklären.«
»Was ist mit Dartfur passiert?«
»Er hat vor langer Zeit aufgehört zu leben. Aber wir wussten, wie fest er in der Kultur unserer Artverwandten verankert ist. Es war die einzige Möglichkeit, sie zum Aufbruch zu bringen.«

Cunet trabte heran. »Es ist gut, Perry. Die Metagyrrus wollen unser Bestes. Wir haben entschieden, mit ihnen zu gehen.«
»Seid ihr euch sicher?«
»Sie haben mir einiges erzählt, was nur ich wissen kann. Wir benötigen deinen Schutz nicht länger.«
Perry Rhodan genügte das nicht. »Wenn ihr Zeitreisende aus der Zukunft seid, dann …«
»Der Vergangenheit«, unterbrach ihn das Metagyrrus.
»Okay. Weshalb Arkon I und nicht Mohenn? Weshalb dieser Zwischenstopp?«
»Zeitreisen ist kompliziert. Unsere Technologie hinterlässt Spuren, egal wohin wir reisen. Wir berechnen daher sehr genau, welcher Ort und Zeitpunkt der beste ist. Manchmal tun wir es auch, um einen alten Freund wiederzutreffen.« Das Metagyrrus sah ihn lange an.
Perry Rhodan kannte diesen Blick. Für ihn war das Metagyrrus ein Fremder. Noch. Eines Tages mochte sich dies ändern.
»Deshalb musstet ihr einen Mehandor und dessen Schiff nutzen, um die Einhörner hierher zu bringen?«
Sein Gegenüber nickte.
»Habt ihr dafür Fiktivtransmittertechnologie verwendet?«
»Es ist besser, du weißt nicht alles, Perry Rhodan«, entgegnete das Metagyrrus.
Perry erkannte, dass sein Charisma bei diesem Wesen nicht wirkte. Es war, als verfüge das Metagyrrus über irgendeine Art Schutzschild. Es war unantastbar. »Verrätst du mir deinen Namen? Damit ich ihn mir für die Zukunft merken kann?«
Der Zeitreisende lächelte unter der roten Maske. »Das könnte die Zukunft verändern.«
»Du sprichst von einem Zeitparadoxon?«
»Ja.« Das Metagyrrus nickte seinen Gefährten zu. »Wir verweilen schon zu lange an diesem Ort.« Er wandte sich an die Einhörner. »Kommt mit, meine Freunde.«
»Soll ich diesem eingebildeten Vierbeiner das Genick brechen, Perry Rhodan?«, fragte der immer noch unbewaffnete Geliat.
»Nein. Wir lösen die Angelegenheit friedlich. Lass die Einhörner ziehen.«

Ohne weitere Aufforderung bestiegen die Einhörner die drei Schiffe, gefolgt von den Metagyrrus.
»Aber wir wissen nicht, wohin diese geflügelten Vierbeiner die Einhörner bringen.« Geliats Augen tränten wieder.
»Es ist ihr freier Wille zu gehen. Ich kann die Einhörner nicht aufhalten.« Trotzdem bedrückte es ihn, sie ins Ungewisse zu entlassen. »Du hast deine Arbeit gut gemacht, Geliat.«
Cunet trat an Perry heran. »Ich danke dir für alles. Du hast mein Volk gerettet.« Das Einhorn berührte Perrys Brust mit der Spitze seines Horns zum Abschied und humpelte an den Metagyrrus vorbei, die kurze Rampe empor.
»Es war schön, dich zu sehen, Perry Rhodan.« Das Metagyrrus vor ihm betrat als letztes das Gefährt.
Perry brannten tausend Fragen auf der Zunge. Kurz wollte er dem Metagyrrus folgen, doch er blieb stehen. Etwas in ihm gab ihm die Gewissheit, dass er die Antworten darauf eines Tages erfahren würde. Er musste nur warten. Ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte.
Die Sonne ging über den Trichterbauten am Horizont auf, als die drei Schiffe verschwanden.
»Komm, Geliat«, sagte Perry Rhodan. »Es ist Zeit für ein gutes Frühstück.«

2 Gedanken zu „»Die Passagiere« von Marlene von Hagen“

  1. Liest sich bissel wie ein Reklam. Aber genau das gefiel mir daran. Mehr Dialog und kurze Beschreibungen. Fast bissel wie ein Textbuch zu einem Skript. Eine schöne Geschichte, auch wenn mir, zugegeben einuge Begriffe bzw. Rassen, noch wenig geläufig sind. Gefällt mir.

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