(Rezension) Uwe Anton – Aufbruch nach Orpleyd (PR 2878)

Ein junger Mann, der ohne seine Liebste nicht leben kann, wandert den Strand vor einem aus dem Meer ragenden Vulkankegel entlang, in dem ein Politiker bestattet ist, ein freundlicher Außerirdischer, der wie ein Teufel aussah. Der junge Mann heißt Vogel Ziellos und er fühlt sich schwach, weil seine Freundin Lua Virtanen und er sich einen unsterblich machenden Zellaktivator teilen. Die Ärzte testen, wie lange sie getrennt sein können.

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Der Vulkan bricht aus und bietet dank der schützenden Abschirmfeldern ein gefahrlos zu genießendes, feuriges Schauspiel. Der auf dem Raumschiff ATLANC geborene Mann mit dem Vogelkopf denkt darüber nach, ob die Erde seine Heimat ist und freut sich, als seine Freundin zurückkehrt, die ihm alles bedeutet – auch wenn die erzwungene Nähe belastet.

Der Aufbruch nach Orpleyd ist erst einmal ein Abschied. Der Roman ist voll von kleinen, tiefen menschlichen Begegnungen, flachen Anspielungen an die Jetztzeit, Seriendaten und Erinnerungen vor grandiosen Kulissen. Vom Aufbau her gleicht er, denn auch einer Sanduhr: Ein großer Bauch Gefühle, Rückblicke, Daten und Erinnerungen, dünn und flach die Reise in Entstofflichung mit einem bemerkenswerten Suspensionstraum und dann kommt der nächste große Bereich: die Öffnung hin zum Neuen, die Ankunft in Orpleyd und erste Begegnungen.

Lua und Vogel Ziellos sind überglücklich, als der Mausbiber Gucky sich ankündigt. Der ist unsterblich wie sie und wurde ihnen eine Art Vaterfigur. Die jungen Leute leben seit fast einem Jahr auf der Erde, fast ein Jahr ist seit Perry Rhodans Tod vergangen – an den Gucky nicht glaubt, obwohl er die Leiche sah. Denn beim Tod eines Zellaktivatorträgers müsste das Bild einer Spiralgalaxis erscheinen, und das blieb aus.

Der Mausbiber führt die jungen Leute an diesem Silvester des Jahres 1519 NGZ aus, um mit ihnen gemeinsam den Jahreswechsel zu feiern. Zunächst besucht das Trio den ins Erdorbit zurückgekehrten Mond. Dort treffen sie Pri Sipiera, die früher, als die Onryonen alles beherrschten, den lunaren Widerstand führte. Die Onryonenstadt Iacalla bildet die exotische Kulisse für ihre Berichte von Umbau und Aufbau. Lua und Vogel entdecken eine neue Rolle: Für die übriggebliebenen Onryonen sind sie Helden, weil sie in den Jenzeitigen Landen waren, für die sie kämpften, ohne zu wissen, ob es sie wirklich gibt.

Dank Teleportation – Guckys Spezialgebiet – durch die Zeitzonen der Erde erleben sie ein Feuerwerk mit Raketen und als Sonnneneruption gestalteten Holos nach dem anderen und tanken ganz ordentlich, denn der Zellaktivator wird den Kater verhindern. Sie besuchen Rhodans Haus Nr. 746 Upper West Garnaru Road, wo Lua und Vogel Rhodans Enkelin Farye Sepheroa kennenlernen. Sie finanziert die Reparatur der RAS TSCHUBAI aus Rhodans Privatmitteln.

Und um dieses Fernraumschiff geht es. Es ist die einzige Möglichkeit, die unvorstellbare Distanz von 139 Millionen Lichtjahren zurückzulegen, um einen einzelnen Mann zu suchen, Pery Rhodan – der noch dazu tot ist. Doch diesen Tod akzeptiert Gucky nicht. Am Neujahrstag führt er Lua und Vogel zur RAS TSCHUBAI. Das schwer beschädigte Omniträgerschiff, angedockt an einen Flottentender, bildet die eindrucksvolle Kulisse für den nächsten Block an Gesprächen über Daten, Antriebsarten, Gefühle.

Lua soll ANANSI heilen, den Schiffscomputer. Er ist eine Semitronik, die in Gestalt eines fünfjähriges Mädchen erscheint. Der Großteil der Semitronik befindet sich im Hyperraum. ANANSI hat seit Monaten nicht gesprochen. Doch auf Lua reagiert sie sofort und klagt ihr Leid. Sie hinkt jämmerlich, die bildliche Umsetzung ihres Schadens. Lua bietet ihr eine Amputation der irreparabel beschädigten Anteile an, und zwar durch die in ihrem Haar verborgenen tt-Progenitoren, die Supertechnik aus den Jenzeitigen Landen. Natürlich klappt das sofort, ANANSI bootet neu und ist geheilt. Jetzt kann der Schiffscomputer handeln und die Reparatur unterstützen. Auch Lua bleibt im Schiff und hilft mit.

Mit Erfolg: schon drei Jahre später, am 24. Januar 1522, kann das Fernraumschiff starten. Angesichts dieser Wundertütentechnik stimmt die Signatur des Holokünstlers, der den farbigen Aufriss der RAS TSCHUBAI gestaltete, wehmütig: »RC J-2-0-1-4« – Initialen von Rainer Castor, der die Technik der Serie mit einer Präzision unterlegte, die sie vorher nicht hatte. Ersetzt wurde er bisher nur ansatzweise, weshalb seine Erwähnung vor der Zauberreparatur durch undefinierte Mittel angemessen ironisch zur Geltung kommt.

Am 3. August erreicht die RAS TSCHUBAI Orpleyd. Gucky erwacht aus der Suspension. Das ist eine Entstofflichung, ohne die man die Aktivität des Antriebs nicht überleben würde. Alle wünschen einander vorher,keine Träume zu haben, denn Suspensionsträume sind surreal und schauderhaft. Auch seiner: Er ist ein Haustier und die Orpleydianer sind drei Meter hohe Alptraumfiguren mit rot glühenden Augen, schwarz schimmernder Haut und vor Speichel tropfenden Zähnen. Der Traum ist einfach geschildert, aber wirklich bedrückend. Insofern kann die echte Begegnung nur besser werden.

Bei der Ankunft vor Orplayd stellt Aichatou Zakara fest, dass kosmische Drift und Rotation der Galaxie offenbar gebremst – »vereist« – wurden. In den dunklen Staubgürteln Orpleyds herrschen unbestimmbare hyperphysikalische Bedingungen. Hyperfunksprüchen zufolge fliehen Angehörige verschiedener Völker vor einer schrecklichen Bedrohung namens »Kohäsion« und »Gyanli«.

Gucky, Farye, Lua und Vogel starten am 12. August mit einer von ihm auf den Namen HARVEY getauften LAURIN-Space-Jet zu einer Vorausexpedition. HARVEY, weil unsichtbar – der Hase in »Mein Freund Harvey« und das Rekapitulieren der verschiedenen Abschirmmethoden gleicht dann wieder einer Remineszenz an Rainer Castor. Im dichten Staubring können sie kaum navigieren, die Ortung spielt verrückt und der Funkkontakt mit der RAS TSCHUBAI bricht ab. Außerdem kann Gucky keine Gedanken mehr lesen. Mithilfe von ausgesetzten Hyperfunkbojen kommen sie wenigstens wieder raus. Gucky bricht die Expedition ab.

Dann fangen sie den Notruf eines kaum 50 Meter langen, pfeilförmigen Raumschiffes auf. Es will sich vor einem 700 Meter langen Schiff der Gyanli, das an ein altterranisches U-Boot mit zwei Türmen erinnert, in den Staubring retten. Der Schutzschirm bricht zusammen. Gucky teleportiert rüber. Die Besatzung besteht aus Nichthumanoiden, deren kugelförmiger Körper auf je vier stämmigen Beinen ruht. Sie haben mehrgliedrige Armen und vier 20 Zentimeter lange Stiele, auf denen Augen und Nasenöffnungen sitzen.

Das kleine Schiff vergeht im Feuer des Gyanlischiffes, die HARVEY bleibt unbemerkt. Die wenigen geretteten Kugelwesen sind Giftgasatmer, tragen keine Schutzschirme und beginnen an der Luft im Inneren der HARVEY zu ersticken. Wie das ausgeht, erfahren wir im nächsten Teil des Doppelromans.

Es dauert eine Weile, die verschränkte Erzählweise des Romans zu durchschauen. Sehr einfache Passagen mit jugendlichem Personal und simpel gezeichneten Aliens ergänzen die massive Datenfülle, die in Gesprächen über Raumschiffe, Ort und die Vergangenheit aufscheint. Zum ersten Mal empfand ich echtes Bedauern, den vorangegangenen Zyklus nur sprunghaft gelesen zu haben, weil die Anspielungen an dessen Ereignisse hier ein zusammenhängendes Bild zu ergeben scheinen.

Das Titelbild zeigt die Reise der blauen, drei Kilometer durchmessenden RAS TSCHUBAI über die Distanz von 139 Millionen Lichtjahren. Wen Details der Entwicklung und des Antriebs interessieren, dem sei das entsprechende Kapitel im Rainer-Castor-Gedächtnisband des TCE – https://www.proc.org/?s=Rainer+Castor – empfohlen.