(Rezension) Robert Corvus – Unter allem Grund (PR 2884)

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Ein Schiff wird zerstört: Die CELAXTA, der Stolz der tiuphorischen Flotte, geht in Flammen auf:

»Die Generatorblöcke zerflossen in der Hitze des Kernbrands. Wo Sauerstoff frei wurde, etwa weil eine weitere Sicherungswand schmolz oder sich die Energien eines feindlichen Geschützes Bahn brachen, loderten turmhohe Stichflammen«.

Der verzweifelte Mixandrac entscheidet sich zwischen seiner Vernunft und dem Befehl, die Maschinen nicht runter-, sondern hochzufahren.

Doch die Explosion bleibt aus, weil die Sieger, die Gyanli, die Brände beiläufig löschen. Mit der gleichen Überlegenheit, mit der sie die anderen 150 lahm geschossenen Hantelraumer der Tiuphoren verbacken, versiegeln und ihrer Antigravanlagen berauben, um sie mit zerstörtem Antrieb auf einen Kollisionskurs mit ihrem Heimatplaneten bringen, wo sie nach Wochen und Monaten aufschlagen werden. Der Propagandafunk der Angreifer sendet unverschlüsselt: Die Besatzungen sollen ihre Unterlegenheit voll auskosten und ihre Erwartung des sicheren Todes per Funk mitteilen können. Dabei erfährt man, dass Kriegs-Operator Yeemburc, einer der drei Lenker der Kohäsion – der galaxisweiten Regierung der Gyanli – mit seinem Flaggschiff SHAADRUS vor Ort ist.

In genau dieser Situation trifft die ODYSSEUS ein. Perry Rhodan, Pey Cexan, Attilar Leccore und die fünf überlebenden Wuutuluxo erreichen nach achttägigem Flug das Doppelsonnensystem Lichfahne mit dem Planeten Tiu, der Urheimat der Tiuphoren befindet. Fast das gesamte unter hohen Verlusten erbeutete Fluid, jene geheimnisvolle Flüssigkeit, in der die Gyanli ruhen, haben die Wuutuluxo auf dem Flug bei Experimenten verbraucht. Sie brauchen Nachschub.

Perry Rhodan will den Kohäsions-Führer Yeemburc entführen. Und die Wuutuloxo helfen: Sie modifizieren die Dakkar-Spanne, jenes einer unverständlichen Technik entstammende Transportgerät, so dass Rhodan und Attilar Leccore direkt in einem Transmitterraum des gyanen Schiffe rematerialisieren. Und zwar als Gyanli: Gestaltwandler Attilar hat seinen Körper umgestaltet und Rhodan ist mittels einer Ethofolie wuurtulox’scher Fertigung, die ihm sogar Informationen über Kultur und Sprache gibt, als einer der blauhäutigen, amphibischen Humanoiden maskiert. Sie sind trotzdem sofort in einen Kampf verwickelt. Dabei befreien sie Mixandrac, den ein Trupp Soldaten als Gefangenen mitführt.

Der Tiuphore ist hochgradig irritiert, als er in der Gesellschaft hilfsbereiter Gyanli aufwacht, und befürchtet die ärgsten Hinterhalte. Sobald er dann doch ins Reden kommt, erfahren die beiden, dass auf Tiu ein sogenannter Konvent der Katalogiker einberufen wurde. Über dessen Natur schweigt sich der Tiuphore aus. Später wird er gesprächiger: Mixandrac hofft, dass mit der Vernichtung der Flotte und ihrem Herabregnen auf den Planeten das Maximum des Leids erreicht sei, worauf dann endlich die Erlösung folgen müsse. Danach sehnt er sich.

Leccore entnimmt den Erinnerungen der besiegten Gyanli Informationen über einen besonderen Raum für einen besonders hochrangigen Gast. Dieses Quartier wollen Rhodan und Leccore sich ansehen, quasi zur Übung, bevor sie sich Yeemburc holen. Es gehört Klavtaud aus dem geheimnisvollen Clan Vtaud, der in den höchsten Kreisen der Kohäsion verkehrt. Dieser undurchschaubare Gyanli, der keinen Eigengeruch besitzt, interessiert sich sehr für den Konvent der Katalogiker. Sein Rang, seine genauen Aufgaben und vieles andere ist zumindest der zu seinem Schutz abgestellten Sicherheitsoffizierin Lutoo unbekannt, und die beobachtet scharf.

Lutoo hat überhaupt die tragende Charakterrolle: eine alte Soldatin, deren Pflichtbewusstsein über jeden Tadel erhaben ist. Ihre Anhänglichkeit an Klavtaud, dessen Andersartigkeit sie bemerkt, aber vor sich selbst verleugnet, macht sie fehlerblind. Obwohl sie eindeutig zum Feind gehört, wünscht man ihr Erfolg und freut sich an ihrer Schläue, weil sie es verdient hat, erfolgreich zu sein. Rhodan hingegen erkennt sie schnell als Fremdwesen. Sie verhört ihn und droht mit der Entfernung des Zellaktivators. Sie präpariert auch das von Rhodans Gruppe zu erbeutende Nanokrill, was eine Verfolgung der Fliehenden ermöglicht.

Ihr Gegenpart, Leccore, lebt in diesem Roman die Wandlungsfähigkeit seines Körpers voll aus, heilt sich beispielsweise selbst von einer Verletzung, indem er eine angenommene Gestalt in die eines anderen verändert. Andererseits geht er viel zu sehr in seinen angenommenen Identitäten auf, hat tiuphorische Werte, giert nach tiuphorischen Essen, wird aber auch anmaßend wie ein Gyanli. Im Kampf mit Klavtaud kommt er an die Grenzen seiner Identität und darüber hinaus.

Im letzten Drittel des Romans beginnen bemerkenswerte Begegnungen. Während seines Bads im Fluid bemerkt Rhodan einer Wesenheit aus vielen Bewusstseinen, eine Gemeinschaftsintelligenz, eine jener Superintelligenzen, welche die PERRY RHODAN Kosmologie prägen. Und zwar eine lebensfeindliche Superintelligenz, die Orpleyd zu einer Materiesenke machen will, einem unbelebten Gebiet. Das könnte dann auch die heimische Milchstraße gefährden.

Auf der Flucht sehen Rhodan, Leccore und Mixandrac in Klavtauds Quartier ein Hologramm Orpleyds, in dem die unzähligen künstlich erzeugten Schwarzen Löcher der Galaxis ein regelmäßiges spiralförmiges Muster bilden. Zahlreiche mit Tiucui-Kristallen beschichtete Silberscheibchen auf dem Boden bilden dasselbe Muster.

Leccore fühlt etwas namenloses Fremdes – Klavtaud betritt den Raum. Er hat die Dakkar-Spanne bei sich, ihr Transportgerät. Als Leccore versucht, sein Templat anzufertigen, bricht er schreiend zusammen. Aber auch Klavtaud gerät in Verwirrrung. Er bezeichnet Rhodan und Leccore als Tellavely und Nunadai und als Maschinisten des Pavvat und fragt, ob er Pushaitis ist. Rhodan blufft: Er behauptet, »ihr Herr« sei unzufrieden.  Klavtaud wendet ein, »KOSH das Lot« schlafe seit Jahrzehntausenden und das Operandum nähere sich der Vollendung. Anscheinend haben die Gegenwarts-Tiuphoren von außerhalb Orpleyds in ihren blutigen Vernichtungsfeldzügen über Jahrmillionen hinweg Geistkomponenten gesammelt. Die soll das Pavvat bekommen, dann könne KOSH für immer eine Materiesenke werden. Und Klavtaud erwähnt Cadabb, der oder das wie die Leere sei und warte.

Unerwartet rasen alle der Sinsilii genannten Silberscheiben auf Klavtaud zu und bedecken ihn. Er verschwindet, nur die Dakkar-Spanne bleibt zurück. Rhodan und Leccore können jetzt fliehen. Sie stellen eine Funkverbindung zur ODYSSEUS her, springen in die Yacht und nehmen Mixandrac mit.

Leccore ist sich sicher, dass in oder hinter Klavtauds Gyanlikörper eine völlig fremdartige Wesenheit steckt. Eine, die eventuell nicht einmal lebt, aber auch kein Roboter ist. Steht sie in direkter Verbindung mit der kosmischen Kraft, die in Orpleyd am Werk ist?

Robert Corvus‘ Schilderung ist voll von Personifikationen und Farben. Der übersichtliche Aufbau kleinere Abschnitte erfolgt zum Teil durch Zahlengruppen, zum Teil durch einen anekdotenähnlchen Aufbau oder überschaubare, von bildlichen Eindrücken geprägte Minihandlungen. Kleinigkeiten wie Leccores Verhalten an der Raumschiff Enterprise-ähnlichen, zu allem fähigen Essensausgabe, in die man seine Hand hält, damit das Gerät entsprechende Speisen herstellt. Attilar Leccore hadert mit seinem Menschenkörper, wird von Pey Ceyn darauf angesprochen, wehrt dies ab und verwandelt dann heimlich die Hand – nur die Hand! – in eine Tiuphorenhand:

»Die Hand zerfloss, ordnete sich neu, wurde feingliedriger, die Finger länger, die Haut heller. Nur die Hand, mehr nicht, nahm er sich vor. Der Unterarm pochte. Die Nerven- und Gefäßverbindungen passten nur unvollkommen zusammen. Überhaupt war menschliches Blut ungeeignet, um eine tiuphorische Hand zu versorgen. Aber er brauchte sie ja nur kurz.«

Nur, damit das Gerät ihm die tiuphorische Leckerei liefert, nach der er giert.

Die komplexe Charakterzeichnung und die anschauliche Beschreibung tragen den Roman jederzeit, obwohl ständige Verwandlungen und überraschende Fähigkeiten von Personal und Technik den logischen Aufbau ziemlich weit strapazieren.